Lhakpa Doma Salaka-Pinasa Sherpa
Hennef, Germany

Sherwa mi - viel' Steine gab's und wenig Brot: Eine Sherpa-Tochter erzählt. Bad Honnef: Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung 1994.


Handel und Arbeit

Butter nach Namche

Es bestand früher ein reger Handelsverkehr mit Khumbu, oft von dort auch weiter nach Tibet über den Nangpa La. Mein Vetter Zangbu war in dieser Hinsicht besonders aktiv. So stellte er eines Tages auch einmal eine Trägergruppe nach Namche Bazar zusammen. Es ging darum, Butter, die er bei diversen Leuten aufgekauft hatte, zu transportieren. Wir waren eine Gruppe von sieben Personen; neben Zangbu und seinem Schwager waren da noch mein Bruder Gyaltsen, ein weiterer Sherpa und zwei Tamang. Meine Aufgabe war es, die Küchengeräte und die Reiseverpflegung für alle zu tragen. Mein Vater pflegte mich damals immer wie einen Jungen zu kleiden und zu behandeln. So hatte ich ganz kurz geschorene Haare und trug auch während dieser Handelsreise eine Hose meines Vaters und darüber eine chuwa (Männerkleidung) meines Bruder. Die beiden Tamang machten sich ständig über mich lustig, indem sie beispielsweise spotteten, ich würde große Probleme bekommen, wenn ich meine Notdurft verrichten müßte. Ich habe das dann immer besonders schnell gemacht, um zu beweisen, daß ich keine Probleme hatte.

Unsere Reise fand mitten im Monsun statt. Es regnete Tag und Nacht, und es war sehr neblig. Ich hatte als einzige ein Bambuscape, das mich hervorragend gegen den strömenden Regen schützte. Als wir nachts in einer Höhle, in Tanggaphuk, übernachteten, wurden wir geradezu überschwemmt. Da forderten mich Zangbu und sein Schwager auf, sie mit unter mein Cape zu lassen, was zur Folge hatte, daß wir alle drei naß wurden. Außerdem ging das Cape dabei kaputt, weswegen ich später von meiner Mutter ausgeschimpft wurde.

Bei der nächsten Übernachtung waren alle sehr ausgelassen. Wir befanden uns jetzt in einem kleinen Dorf unterhalb von Namche Bazar, in der Womi Tsangbu-Schlucht. Es regnete ausnahmsweise nicht, die Sonne schien, und es war angenehm warm. Die jungen Männer hatten eine Mundharmonika dabei, machten Musik, übrigens alles Nepali-Liebeslieder, und tanzten dazu. Natürlich hatten sie zuvor etwas chang getrunken, was ihre Laune noch anhob. Sie trugen alle kurze Hosen und hatten die Haare im Stil der damals üblichen Mode hinten ganz kurz geschnitten und vorne lang, so daß sie beim Tanzen ständig ins Gesicht fielen. Das Ganze lockte natürlich Zuschauer aus dem Dorf an.

Für den weiteren Weg nach Namche ließen wir uns sehr viel Zeit. Am Dorfeingang von Namche befand sich nämlich ein Zollhäuschen. Dort stand tagsüber ein einsamer Zöllner mit einem Gewehr, das nach Aussage der Leute überhaupt nicht schießen konnte. Es hieß, wir müßten warten, bis die Dunkelheit hereingebrochen wäre. So ganz habe ich den Zusammenhang damals nicht verstanden. In der Nacht, als der Mond untergegangen war, sind wir dann langsam an dem Zollhäuschen vorbeigeschlichen und in ein Haus in Namche Bazar gegangen. Es wohnten richtig stinkreiche Leute dort. Im Gegensatz zu uns zu Hause hatten sie unheimlich viel Geschirr. Alles glitzerte nach Kupfer, Bronze, Messing und Porzellan. Über dem Ofen hingen große Mengen getrocknetes Yakfleisch, von dem die anwesenden Kinder ständig zu essen bekamen. Mein Vetter und sein Schwager erhielten ebenfalls etwas zu essen, wir anderen Träger jedoch nicht. Wir mußten hungrig zu Bett gehen, worüber ich mich sehr geärgert habe.

Am nächsten Tag sind wir dann wieder auf schnellstem Wege nach Hause zurückgekehrt. Ich erhielt für unsere Trägerdienste für die ganze Woche vier Rupien. Wie üblich mußte ich den gesamten Lohn bei Mutter abgeben.

Nach 1959 machten die Chinesen die Grenze zwischen Nepal und Tibet dicht. Auch der Handel von Khumbu über den Nangpa La war davon betroffen. Zangbu versuchte später, auch einmal selbst eine Handelsreise nach Tibet zu unternehmen. Hierzu mußte er zunächst von Shorong aus eine Woche lang bis nach Kathmandu laufen; eine Straße, die die Entfernungen verkürzt hätte, gab es damals noch nicht. Dort erhielt er dann von der chinesischen Botschaft eine Erlaubnis für eine Handelsreise nach Tibet. Hiermit ausgestattet kehrte er nach Shorong zurück und machte sich anschließend auf den Weg nach Tibet. Man kann sich vorstellen, daß ein derartiger Aufwand jeglichen Handelsverkehr zunichte machte.

Tauschgeschäft

Eines Abends kam eine Nachbarin bei uns vorbei und fragte Mutter, ob sie etwas dagegen hätte, wenn ich gemeinsam mit ihr und ihrer Nichte nach Namche gehen würde, um Mais gegen Salz zu tauschen. Mutter hatte nichts einzuwenden, zumal ich ja nicht zum ersten Mal nach Khumbu ging.

Zu meiner großen Überraschung kamen die beiden Frauen am nächsten Tag erst gegen Mittag, als die Sonne schon hoch am Himmel stand. Normalerweise bricht man zu solchen Reisen bereits in der Dämmerung auf, wenn die Vögel ihre Stimmen erheben. Anstatt über Rawuche und die Wälder liefen wir diesmal durch die Womi Tsangbu-Schlucht.

Wie es nicht anders zu erwarten war, kamen wir am ersten Tag nur bis nach Kharikhola. Es war schon fast dunkel, als wir am Wegesrand ein Mädchen trafen, das Wasser aus einer Quelle schöpfte. Wir fragten sie, ob wir bei ihr zu Hause übernachten könnten. Sie antwortete zunächst nicht. Erst als ich offenbarte, daß auch ich, trotz meiner Jungenkleidung, ein Mädchen war, willigte sie ein, uns mit nach Hause zu nehmen. Ihr Haus lag etwas unterhalb des Weges. Später am Abend nahm das Mädchen eine Fackel und ging mit uns zu ihren zukünftigen Schwiegereltern. Dort bekamen wir Kartoffeln zu essen und chang zu trinken. Anschließend sollten wir Lieder singen und tanzen, aber wir haben uns sehr geschämt. Unsere Nachbarin hatte nämlich ausgesagt, wir kämen aus Ringmo, weil sie sich schämte, daß wir aus Yawa kamen. Und die Leute aus Ringmo waren bekannt dafür, daß sie viele Lieder kannten.

Gegen Mitternacht sind wir wieder zum Haus des Mädchens zurückgegangen. Es waren noch kleinere Geschwister des Mädchens anwesend, nicht jedoch die Eltern. Weil wir so spät ins Bett gekommen waren, standen wir am nächsten Morgen natürlich auch wieder spät auf. Die Folge war, daß wir am zweiten Tag nur bis Dungde kamen. Die beiden Frauen liefen aber auch wie die Schnecken. In Chutok, einem kleinen Ort jenseits des Khari La, hatten wir eine ältere Frau getroffen, die uns bat, ihre Tochter in Buwa, unterhalb von Luklha, zu informieren, sie möchte bei ihr vorbeikommen und helfen, Kartoffeln zu pflanzen. Wir haben vor ihrem Haus gerufen, bekamen aber keine Antwort. So gingen wir unverrichteter Dinge weiter. Es war wieder stockfinster, als wir in Dungde ankamen.

Ich führte die beiden Frauen zu einem großen Haus, das ich bereits von einem früheren Aufenthalt her kannte. Ich rief: "Opa, Oma! Ich bin Lhakpa aus Yawa. Ich war früher schon einmal bei euch!" Es dauerte lange, bis der alte Mann vom obersten Stockwerk heruntergekommen war und die Tür öffnete. Natürlich konnten wir bei den beiden alten Leuten, die dort ganz für sich alleine wohnten, übernachten. Später versuchten wir, mit dem Mann ein Handelsgeschäft abzuschließen. Die beiden anderen Frauen waren schon sehr müde und wollten sich den weiteren Weg bis Namche ersparen. Der alte Mann war zwar brennend an unserem Mais interessiert, sagte aber, er habe kein Salz. Daher gab er uns am nächsten Morgen Geld für unseren Mais.

Wir waren schon fast eingeschlafen, als noch jemand draußen vor dem Haus rief. Es war ein Lehrer mit seinem Gehilfen. Sie wollten unbedingt zwei mana Reis kaufen. Das Schicksal wollte es, daß einmal mehr ich aufstehen, den beiden die Tür öffnen und ihnen den Reis verkaufen mußte. Der Opa forderte mich eindringlich auf, möglichst genau das Maß einzuhalten und nur ja nicht zuviel abzugeben. Aber die beiden da draußen taten mir leid, und so machte ich das Maß gehäuft voll.

Am nächsten Tag machten wir uns ausnahmsweise sehr früh auf den weiteren Weg nach Namche. Wir hatten jetzt nur noch unsere eigenen Vorräte und Decken zu tragen. Unterwegs wurden wir von dem Lehrer und seinem Gehilfen überholt. Die beiden Frauen lästerten den ganzen Weg über, daß ich jetzt ja auch ein Mädchen wäre und noch dazu eines mit Glatze. Vater hatte mir erst wenige Tage zuvor eine Totalrasur verpaßt, wegen der Läuse, wie er immer erklärte. Als nun die beiden Männer uns einholten, klagte ich dem Lehrer mein Schicksal, daß ich es so schwer hätte als Junge mit den beiden Frauen. Der Lehrer bedauerte mich zutiefst und legte tröstend seinen Arm über meine Schulter. Als die beiden Männer vor uns in der Ferne verschwunden waren, ging hinter mir das Geläster nun los, ich hätte mir ja jetzt einen Chetri mit einer langen Nase angelacht, obwohl ich ja weder etwas gegen lange Nasen noch gegen Chetris hatte.

Durch das Gelaber verging die Zeit rasch. In Namche angekommen, kauften wir mit dem Geld, das wir von dem alten Mann für unseren Mais bekommen hatten, Salz. Dann machten wir uns schnellstens auf den Rückweg. Unterwegs trafen wir einen alten Opa aus unserem Dorf, der mit einem speziellen thawo (Freund; nep. mit) des Mannes unserer Nachbarin unterwegs war. Letzterer wohnte dort in der Nähe und nahm uns mit zu sich nach Hause. Als wir am Haus ankamen, stellte ich zu meinem Entsetzen fest, daß ich unterwegs an einem Rastplatz wohl meinen Mehlbeutel verloren hatte. Wir gingen nochmals zu dritt dorthin zurück, fanden aber nichts mehr. Wir konnten im Haus des thawo übernachten und bekamen Radi-Eintopf. Unsere Nachbarin genierte sich sehr. Sie hatte die ganze Albernheit abgelegt und war äußerst höflich, wie es sich ja gegenüber dem thawo des Ehemannes gehörte. Dafür war ich umso ausgelassener.

Für den weiteren Rückweg wählten wir den Waldweg von der Pharak-Schlucht über Tanggaphuk. Zunächst führte der Weg durch dichten Urwald, in dem eine unheimliche Stille herrschte. Außer Vogelgesang war nichts zu hören. Auf halber Höhe trafen wir drei Mädchen, die dort wohl übernachtet hatten und nun um ihre Feuerstelle herumsaßen. Mein erster Gedanke war natürlich sofort, daß es sich um tenma (weibliche Schneemenschen; nep. yetini) handelte. Ein alter Mann aus Pharak hatte nämlich erzählt, daß er in diesem Wald einmal einer tenma begegnet sei und es Steine gehagelt habe.

Schließlich verließen wir mit zunehmender Höhe den Wald aus Rhododendronsträuchern und kamen in einen Azaleenwald. In der Nähe einer Höhle kamen wir zu einem Bach, den ich aus der Monsunzeit als reißenden Fluß kannte und bei dem es mir nie sonderlich geheuer war. Endlich waren wir ganz oben hoch an der Paßhöhe angekommen und sahen unser Dorf unten im Tal liegen. Wie in solchen Situationen üblich stimmten wir einige Hirtenlieder an. Zügig ging es nun bergab. Die Hochweiden wurden von Hagebutten- und blauen Beerensträuchern abgelöst. Schließlich begann der Eichenwald.

Weggelaufen

An einem Abend im Frühling kam einmal ein Nachbar bei uns vorbei und fragte, ob ich nicht für ein Jahr bei ihm im Haushalt arbeiten könne. Er wollte dafür 100 Rupien zahlen. Das war damals recht viel; normalerweise wurden nur etwa 20-40 Rupien bezahlt. Außerdem sollte ich, wie es so Sitte war, ein Kleid bekommen. Uns ging es wirtschaftlich nicht sonderlich gut. Wir hatten nicht mehr genug zu essen, und die neue Ernte war noch weit. Die Schuldenlast war auch immer größer geworden, und so war einmal pro Jahr ein neues Kleid für jeden von uns nicht bezahlbar. Daher sagten meine Eltern, sie seien mit dem Angebot des Nachbarn einverstanden. Die Dauer des Arbeitsverhältnisses wurde schließlich sogar auf zwei Jahre erhöht. Ich selbst wurde nicht gefragt; wir Kinder machten ohnehin fast alles, was die Eltern uns sagten. Mein älterer Bruder hatte zuvor auch schon ein Jahr bei diesem Nachbarn gearbeitet, er hatte aber nie darüber gesprochen.

So ging ich also zum Haus der Nachbarn, die wir als Onkel und Tante bezeichneten. Sie hatten selbst zwei Töchter und einen Sohn. Die Frau war hübsch und anfangs recht nett. Sie stammte aus Pharak und war mit ihrem Mann verheiratet worden, nachdem zuvor ein Bruder von ihr mit der Schwester ihres Mannes verheiratet worden war. Ihr Mann war bereits früher einmal mit einer Frau aus Junbesi verheiratet gewesen. Als er einmal eine Woche bei seinen Schwiegereltern in Junbesi gearbeitet hatte, war seine erste Frau nach Phaphlu zu ihrem Onkel geschickt worden, der sie ganz einfach mit einem anderen Mann verheiratete, der sie jedoch später sitzenließ. Als der Nachbar dann seine zweite Frau aus Pharak heiratete, bekam diese eine große Mitgift, u.a. 15 Kälber, Kleider und Schmuck.

Ich mußte mit der Familie sofort auf die Almen ziehen. Dort hatte ich alle Arbeiten für die Familie zu erledigen, vom ersten Morgengrauen bis tief in die Nacht hinein. Zunächst hatte ich auch in der Hütte übernachten können, mußte später aber draußen zwischen den Bäumen auf dem Erdboden schlafen. Die Kinder der Familie trugen allesamt Jungenkleidung. Die älteste Tochter hatte das gleiche vulgäre Mundwerk wie ihr Vater und schwor ständig auf die lhangang von Takshindu und Tengbuche.1

Es war meine Aufgabe, alles zu tun, was die Leute von mir verlangten: Wasser holen, Holz sammeln, Gras schneiden, Tierfutter holen, Tiere hüten, Brennesseln sammeln, das Geschirr spülen, Mehl mahlen. Der Hund und ich bekamen als letzte zu essen. Ich mußte die gesamte Küche, darunter zahlreiche Messingteller und -schüsseln, in einem großen Korb auf meinem Rücken bergauf und bergab schleppen. Das war so wahnsinnig schwer, daß meine Beine zitterten und der Trageriemen so sehr auf dem Kopf drückte, daß ich dachte, dieser würden jeden Augenblick zerspringen. Zu allem Überfluß mußte ich mich dabei auch noch um den kleinen Sohn der Familie kümmern, der sehr lauffaul war. Er hatte wohl immer zu gutes Essen von seiner Mutter erhalten und war daher sehr schwer.

Einmal kauften die Leute einen Stier, dessen Aufgabe es sein sollte, die zwanzig zom der Familie zu decken. Der Stier war davon aber offenbar nicht sonderlich angetan und lief bei der erstbesten Gelegenheit davon. Ich wurde losgeschickt, nach dem Tier zu suchen. Es war aber ein sehr nebeliger Tag, und ich fand im Tannenwald keine Spur von dem Tier. Meine Arbeitgeberin fand ihn schließlich bei dem früheren Besitzer, der seine Herde auch in der Nähe weidete. Abends wurde ich von ihrem Mann ausgeschimpft, weil ich angeblich nicht richtig auf die Tiere aufgepaßt hätte. Die Frau aber nahm mich in Schutz. Da packte mich die Verzweiflung, und ich fragte mich, warum ich dieses Schicksal zu ertragen hätte, etwa nur, weil da ein Papier existierte, das ich nicht lesen konnte?

Als wir oben am Womi Tso ankamen, trafen wir dort auf viele Hirten. Darunter war auch eine Frau, die seit zwanzig oder mehr Jahren als Magd gearbeitet hatte. Sie wollte in diesem Jahr einen Schlußstrich ziehen und nach Darjeeling gehen. Sie sagte, es sei nicht leicht, für andere Leute zu arbeiten. Sie schlief auf einem Felsen, zusammengekauert unter ihrem kung (selbstgemachter Regenschirm aus Lindenrinde oder großen Blättern). Es war so neblig, daß man nicht viel sehen konnte, und lausig kalt obendrein. Die Sonne ließ sich nur sehr selten blicken. Dafür war das akustische Schauspiel umso beeindruckender. Ständig hörte man das Donnern niedergehender Lawinen und die Geräusche der zahlreichen Tiere.

Ich traf auch meine Cousine Sumi dort oben, die ebenfalls als Magd bei einer anderen Familie arbeitete. Auch sie mußte nachts oft im Matsch am Wegesrand bei den Tieren schlafen, während ihre Arbeitgeber in einer Hütte am Feuer übernachteten. Ihre Situation war noch schlechter als meine, da ihre Mutter verstorben war und ihr Vater kein eigenes Haus besaß, sondern in Rai-Dörfern Gelegenheitsarbeiten nachging. Die Familie ihres Arbeitgebers hatte nur ein verwöhntes Töchterchen, das einzige Mädchen im Dorf, das zur Schule ging. Mehrere Männer hatten um ihre Hand angehalten, darunter ein kapa (Maler; wörtl. Genie) Danu aus Chiwang, sie heirate aber schließlich einen arroganten Mann aus Chunagpo. In der Hochzeitsnacht wurde ihm das gesamte Land überschrieben. Es hieß ferner, ihm gehöre das Mädchen von den Haaren bis zu den Fußnägeln, was natürlich umgekehrt nicht galt. Die Ehe ging jedoch rasch in die Brüche; der junge Mann ging als Taxifahrer nach Indien, und die junge Frau ging ständig fremd.

Das Mädchen hatte auch noch einen Bruder, der jedoch als rimpoche (hohe Wiedergeburt) erkannt worden und deshalb über den Nangpa La (5716 m hoher Paß von Khumbu nach Tibet) nach Tibet gegangen war. Irgendwann kam ein Brief von ihm, in dem er mitteilte, daß er sehr krank geworden sei. Er bat dringend darum, seine Schwester mit einer Wurzelmedizin, die man oben am Womi Tso fand, zu ihm nach Tibet zu schicken. Die Familie beschloß, gemeinsam nach Tibet zu gehen. Zuvor feierte man ausgelassen eine ganze Woche lang. Danach sind sie dann doch nicht gegangen. Später erzählte man, der junge Mann sei in den chinesischen Ohrensäcken gelandet.2

An einem Tag half uns auch ein Tamang, der dauernd zitterte. Wir nannten ihn daher einfach den "Zitterer". Man erzählte sich, dieses Leiden rühre daher, daß er einmal eine Katze getötet habe. Als wir dort oben in Richtung Westen weitergingen, ging er nach Osten zur Pharak-Schlucht hinüber. Andere Leute erzählten, er sei ihnen unterwegs begegnet. Wir haben darüber gelacht. Spät am Abend traf er dann doch bei uns ein.

Nachts kamen viele Pilgerleute, um bei uns im Sitzen zu übernachten – mehr Platz war nämlich nicht mehr in der kleinen Hütte. Unter ihnen befand sich auch ein fröhliches junges Mädchen. Sie wurde von einem älteren Mann begleitet, der wohl auf sie aufpassen sollte. Unser Tamang hatte offensichtlich Feuer gefangen und sprang aufgeregt in der Hütte umher. Dabei schrie er ständig, er wolle mit dem Mädchen "nani banaune" (Baby machen). Da holte ich einen brennenden Holzscheit aus dem Feuer und ging damit auf ihn los. Augenblicklich erschraken alle. Erst als ich meinen Arbeitgeber fragen hörte: "Was tust du denn da, Kind?", kam ich wieder zu mir.

Eine meiner Kühe kalbte eines Tages. Sie entfernte sich danach nie sehr weit von ihrem Nachwuchs. Immer wieder bemühte sie sich, das Kalb zum Aufstehen zu bewegen. Aber das Kalb war natürlich viel zu schwach dazu. Es bekam absichtlich nichts zu fressen und zu trinken, damit es möglichst bald starb. Es war nämlich ein männliches Tier und daher nicht zur Milchproduktion geeignet. Das Kalb starb am siebten Tag. Der Schwanz wurde abgeschnitten und der Kuh zum Riechen vorgesetzt. Sie roch und leckte immer daran, während ich sie molk. Später habe ich den Schwanz weggeworfen. Von da an hat die Kuh immer an meinem Kopf geleckt. Offensichtlich war ich jetzt ihr Kind. Es war ein Betrug, wie alle Frauen und Mädchen auf den Almen das Vertrauen der Tiere auf diese Weise mißbrauchten. Jedes Jahr hatten sie den Tod vieler Kälber auf dem Gewissen wegen der Milch. Deswegen sollen später manche Frauen bei ihrem Tod so geschrien haben wie die sterbenden Kälber.

Irgendwann zogen wir in eine andere Hütte um, die in Richtung Pike (ein gut 4000 m hoher Berg in Shorong) lag. Dort weckte mich meine Arbeitgeberin mitten in der Nacht, weil sie irgendein verdächtiges Geräusch gehört hatte. Sie forderte mich auf, wie ein Hund zu bellen. Dies tat ich und kratzte dabei mit der Suppenkelle an den Herdsteinen. Da hörten wir ein lautes Geräusch; Steine purzelten den Hang hinunter. Offensichtlich befand sich tatsächlich ein Lebewesen außerhalb der Hütte. Ich hätte das für Schafe gehalten. In der Gegend weideten nämlich viel Schafherden der Gurung. An einem anderen Tag fand ich beispielsweise einmal zwischen Felsengeröll ein totes Schaf. Es war dort offensichtlich zu Tode gestürzt. Da niemand kam, um den Tierkörper zu holen, habe ich das Tier kurzerhand in unsere Hütte geholt, wo wir es zerlegten und aßen. Wir sahen nicht ein, das Fleisch den Geiern zu überlassen.

Meine Arbeitgeberin erzählte, daß ihre Schwiegereltern auf einem Hirtenfest einmal einen Streit mit einem Mann aus Pikyongma hatten. Einige Tage später seien acht Männer gekommen und hätten nach ihrem Schwiegervater gefragt. Da die Schwiegermutter befürchtete, die Männer würden ihren Mann verprügeln, half sie ihm rasch, unter der Rückwand der Bambushütte hindurch ins Freie zu entfliehen. Die Männer hätten dann die gesamten Buttervorräte mitgenommen. Diese Erfahrung sei der Grund, warum meine Arbeitgeberin nun immer so ängstlich sei, wenn sie nachts draußen Geräusche höre.

Oft hatte ich Heimweh nach meiner Mutter und nach meinem Dorf. Besonders bedrückte mich hier oben auf den Almen auch der ständige Nebel und die Dunkelheit. Tagelang war oft nicht die Sonne zu sehen. Unten in unserem Dorf war es viel heller. Daher fragte ich meinen Arbeitgeber, als er einmal mit einem Lasttier zu unserem Dorf ging, ob ich nicht mitgehen könnte. Er lehnte dies grundsätzlich ab.

Einmal hatte ich mich mit einem Nachbarskind sehr intensiv unterhalten. Währenddessen geriet eines der von mir zu hütenden Tiere mit einem Tier der Nachbarn in Streit. Die beiden gingen mit den Hörnern aufeinander los. Als wir das bemerkten, war es bereits zu spät zum Eingreifen. Da stürzte unser Tier kopfüber den Hang hinab. Es überschlug sich zweimal. Ich war jedoch erleichtert, als es dann wieder aufstand.

Irgendwann, als die Weidefläche abgegrast war, wechselten wir wieder unseren Aufenthaltsort. Diesmal zogen wir weiter nach Osten. Unterwegs mußten wir einmal in einer Höhle übernachten. Dort vermißten wir im Dunkeln eines meiner Tiere. Am nächsten Tag fanden wir die Kuh mit einem gebrochenen Bein. Wir konnten leider nichts mehr für sie tun, obgleich sie noch lebte und mir nachmuhte. Wir überließen sie daher ihrem Schicksal und zogen ohne sie weiter. Unterwegs hörten wir einen kleinen Hund bellen. Wir schlichen uns langsam näher und machten erst wenige Meter entfernt großen Lärm. Offensichtlich hatten wir ein unverheiratetes junges Paar beim Liebesspiel überrascht und ihm einen mächtigen Schreck eingejagt. Wir sahen jedenfalls, wie ein halbbekleideter junger Mann Hals über Kopf den Hang hinauflief. Das Mädchen wechselte noch ein paar Worte mit uns und ging dann weiter. Später hörten wir, daß sie ein uneheliches Kind tot zur Welt gebracht hatte.

Nach ein paar Tagen mußte ich zurückgehen, um nachzuschauen, ob die Kuh mit dem gebrochenen Bein zwischenzeitlich gestorben war. Auf dem Weg dorthin traf ich einen Mann, der ein männliches Tier hütete. Er schenkte mir zwei geröstete Maiskolben, die ich dankbar annahm. Natürlich wußten die Leute, daß Dienstmädchen oft nicht genug zu essen bekamen. Daher boten mir andere Leute in jener Zeit häufig Essen an. Der Mann fragte ich, wo ich hinginge, aber das durfte ich auf Anweisung meiner Arbeitgeber niemandem sagen. Ich sagte daher nur, in welche Richtung ich ginge. Als ich endlich zu meinem Ziel kam, hörte ich schon von weitem einen großen Lärm. Ich sah eine riesige Schar von Geiern, die über den Kadaver des verstorbenen Tieres hergefallen waren. Da ich Angst vor den sich zankenden großen Vögeln hatte, ging ich nicht mehr weiter, sondern lief wieder in Richtung unserer Hütte. Da sah ich unterwegs einen Mann mit einem Korb auf dem Rücken. Ich lief weiter und tat so, als hätte ich ihn nicht gesehen. Ich hatte etwas Angst, weil ich dachte, es könnte vielleicht der junge Mann sein, den wir ein paar Tage zuvor so erschreckt hatten. Dann kam ich in den Wald, wo die Grillen zirpten und den bevorstehenden Sonnenuntergang besangen. Ich lief so schnell, als ob der Tod vor meinen Augen stünde. Mir fiel nämlich ein, daß meine Cousine einmal erzählt hatte, sie sei im Alter von nur sieben oder acht Jahren von zwei Brüdern vergewaltigt worden. Es war bereits stockfinster, als ich an unserer Hütte ankam. Meine Füße bluteten trotz der dicken Hornhaut, mit der die Sohlen überzogen waren. Mein Arbeitgeber machte sich am folgenden Tag mit einem Tragtier auf und holte den Rest des Fleisches, den die Geier noch übriggelassen hatten. Ich schnitt es in Streifen und räucherte es über dem Feuer, bekam aber selbst nichts davon ab. Sie aßen es offensichtlich immer, wenn ich draußen bei den Tieren war. Ich bekam ständig nur heißen Quark. Einmal erhielt ich auch ein altes Kleid meiner Arbeitgeberin. Ich konnte wählen, ob ich sofort ein altes Wollkleid von ihr haben wollte oder später im mangsir (November/Dezember) ein Stoffkleid ohne Futter. Da mir sehr kalt war, entschied ich mich, sofort das alte, aber warme Kleid zu nehmen.

Im September ließ der Regen allmählich nach. Der Himmel wurde klarer, und man konnte den Blick bis hinab in die Täler und Dörfer schweifen lassen. Ich hörte, meine Eltern hätten das Heu anderen Leuten gegeben, damit deren Tiere eine Woche bei ihnen weideten. Der Grund war, daß sie dringend Dünger für die Felder benötigten. Einmal traf ich meinen kleinen Bruder Dawa, der für ein paar Tage anderen Leuten bei der Arbeit half. Ich hatte ihn schon ein halbes Jahr nicht mehr gesehen. Daher war ich sehr glücklich über unsere Begegnung. Ich hätte ihn gerne zu uns in die Hütte eingeladen, aber dazu hatte ich ja kein Recht. Wir unterhielten uns kurze Zeit und lachten miteinander. Ich hatte den Eindruck, daß er gewachsen und noch selbstsicherer geworden war.

Es gehörte auch zu meinen Aufgaben, darauf zu achten, daß die Tiere nicht aus heißen Quellen tranken. Es hieß nämlich, dann würden sie ihre Kälber verlieren oder aber so krank werden, daß ihnen der Schaum aus dem Mund trat. Man sagte dann, die Tiere bekämen tseta (Malaria).

Einmal ging ich zu einem Maisfeld der Rai, um Brennesseln zu pflücken, was erlaubt war. Dort traf ich zwei Rai-Jungen, die aufpaßten, daß sich keine Affen, Bären oder andere Tiere an ihrem Mais vergriffen. Ich ging zu der winzigen Hütte, die sie dort hatten und fragte sie, ob sie mir einen Maiskolben schenken könnten. Sie lehnten das jedoch ab, alberten herum und aßen vor meinen Augen von den reichlich vorhandenen Kolben. Ich habe damals nicht verstanden, warum sie mir nicht einmal einen Kolben geben wollten. Ich hätte ihn ja auch stehlen können, was ich jedoch nicht tat. So ging ich mit meinen Brennessseln weg.

Ein anderes Mal hörte ich, daß ein Nachbar, der ansonsten immer sehr freundlich und höflich war, seine Frau geschlagen hatte. Die Frau war weggelaufen, aber am Abend kehrte sie nach Hause zurück. Dieser Nachbar hatte auch Streit mit meinen Arbeitgebern über die Grenzen des jeweiligen Weidelandes. Meine Arbeitgeberin zettelte in meiner Gegenwart diesen Streit an, indem sie hinging und den Nachbarn anpöbelte und schubste. Hinterher behauptete sie unrichtigerweise, der Nachbar habe ihr den Schmuck vom Hals gerissen. Der Nachbar forderte mich auf zu bestätigen, daß er nichts getan hatte; meine Arbeitgeberin jedoch bestand darauf, daß ich ihre Falschaussage bezeugte. Ich befand mich in einer großen Zwickmühle und war froh, daß der Streit schließlich doch ohne meine Aussage beigelegt werden konnte.

Viele Leute hatten in dieser Zeit von Sonnenaufgang bis spät in die Nacht hinein nur noch ihr Heu im Kopf. Es herschte dann stets ein großer Mangel an Arbeitskräften. Oft kamen Leute aus Ringmo oder anderen Ortschaften oder arme Familien, die sich etwas Buttermilch oder Getreide verdienen wollten. Einmal hörten wir auch, daß eine junge Frau während der Heuernte von ihrem Schwager geschwängert worden war. Ein anderes Mal hieß es, ein junges Mädchen habe während der Heuernte ihre erste Blutung bekommen. Es war jedenfalls auch eine Zeit, in der viel erzählt wurde und auch viele Gerüchte in die Welt gesetzt wurden.

Am 15. des Monats mangsir war es so weit, daß die Salaka-Sherpa ihre Tiere auf die abgeernteten Heufelder treiben durften. Das war endlich der Augenblick, wo wir alle wieder zusammentrafen, sowohl diejenigen, die auf die Hochweiden gegangen waren, als auch jene, die unten in den Dörfern geblieben waren. Es war dies aber auch der Monat, in dem alle Zinsen fällig wurden, die gewöhnlich in Form von Getreide zurückgezahlt wurden. Schließlich war es aber auch der Monat mit den meisten Hochzeiten bzw. der Anknüpfung neuer Beziehungen. Erwähnt werden muß aber auch, daß in diesem Monat viele Kinder oder Bedienstete wegliefen. Ziel war meist Darjeeling.

In jenem Jahr ging meine Cousine Maya endgültig zu ihrem Mann, dem Bruder ihrer Schwägerin. Damit das junge Paar genug Getreide für das Fest zusammenhatte, hatten ihre Adoptiveltern ihre Ernte geteilt. Der junge Mann hatte dafür gearbeitet. Maya bekam jedoch kein Land, obwohl genügend vorhanden gewesen wäre. Das Land ging alles an ihren Bruder. Sie bekam nur etwas Schmuck, Kleider, ein paar Kessel und zwei Kühe.

Bei dem Fest traf ich erstmals seit acht Monaten wieder meine Mutter und meine beiden kleinen Schwestern. Spät in der Nacht ging ich mit ihnen nach Hause. Mutter und ich haben uns dann noch sehr lange unterhalten, bis es fast dämmerte. Ich sagte ihr, daß mir meine Arbeit bei den fremden Leuten nicht gefiele, und machte ihr klar, daß ich weglaufen würde, wenn das erste Jahr vorüber wäre. Ein zweites Jahr, wie von meinen Eltern vereinbart, würde ich nicht durchhalten. Natürlich würden meine Eltern das Geld zurückzahlen müssen. Das war aber leider schon weg. Meine Eltern hatten eine tragende Kuh davon gekauft. Die Kuh war gestorben, und das männliche Kalb wurde für wenig Geld verkauft. Mutter hatte jedoch Verständnis für mich. Sie sagte, ich solle zu der gegebenen Zeit zu einer befreundeten Familie nach Ringmo gehen; sie würde diese über meine Ankunft informieren.

Früh am Morgen ging ich zu meinen Arbeitgebern zurück, wo ich dann im Heu schlief. Zu dieser Zeit hatte ich immer sehr viel Tierdung zu schleppen, eine äußerst anstrengende Arbeit. Darüber hinaus wurde ich oft nachts geweckt, wenn sich die Tiere losgerissen hatten. Manchmal tat ich so, als hätte ich nichts gehört, wenn man meinen Namen rief. Schließlich war es Nacht, und ich wollte schlafen. Wenn ich morgens geweckt wurde, mußte ich als erstes Gras für die Tiere schneiden gehen. Ich ging auf die andere Seite des Baches und kauerte mich dort unter einen großen Baum, wo ich wartete, bis die Sonne aufging. Von dort konnte ich die Hütte beobachten. Ich hörte das Knacken des Popcorns, das zubereitete wurde, und das Geplapper der Kinder. Mir war kalt, und ich hatte auch etwas Angst vor den wilden Tieren. Eigentlich sollte man so früh noch nicht in den Wäldern herumlaufen.

Eines Abends kam der Vater meiner Arbeitgeberin mit einem kleinen Sohn und einem schwer bepackten Pferd. Ich sollte die beiden als Trägerin nach Pharak begleiten. Es wurde von mir erwartet, daß ich genauso viel tragen würde wie die stärksten Männer, nämlich zwei thing (schätzungsweise 60 kg). Weil mir das zu viel war, schickte mein Arbeitgeber mich zu einer benachbarten Hütte, wo meine Cousine Sumi arbeitete. Dieser sollte ich sagen, ihre große Schwester Kinzi aus Pharak sei gekommen, was überhaupt nicht der Wahrheit entsprach. Sumi solle mitkommen, um sie zu treffen. Natürlich kam meine Cousine mit. Obgleich sie feststellen mußte, daß ihre Schwester gar nicht da war, erklärte sie sich bereit, die Last auf dem Weg nach Pharak mit mir zu teilen. Als ihr Vater später zu ihren Arbeitgebern kam, um den Lohn abzuholen, den er regelmäßig versoff, hieß es, Lhakpa habe seine Tocher weggeholt; es gebe keinen Lohn mehr. Ihr Vater muß sehr böse gewesen sein und herumgebrüllt haben.

So machten wir uns auf den Weg nach Pharak. Der alte Mann betete ständig sein "om mani padme hum" und der kleine Junge sang Lieder, deren Echo von den Bergwänden zurückgeworfen wurde, und blickte dabei zu den Dörfern hinüber. Das Pferd keuchte und atmete schwer. Wir gingen über Wege, die eigentlich für Pferde überhaupt nicht geeignet waren. Aber der alte Mann zeigte keine Furcht und beruhigte auch das Tier, das zeitweise sehr unruhig wurde. Meine Cousine hatte viel zu erzählen, so daß der Weg für uns gar nicht so lang war. Wir sprachen über schlechte Erntejahre und Hunger (sh. u. nep. anikal), doch sie sagte, ihre Arbeitgeber hätten immer genug zu essen; sie würden keinen Hunger kennen.

Wir überquerten den Dudh Koshi und übernachteten in einem Rai-Dorf beim mit (Freund) des älteren Sohnes unseres alten Mannes. Der Rai hatte zwei Frauen. Die erste hatte keine Kinder bekommen; die zweite war fast blind. Der kleine Sohn dieser Frau hatte sein Geschäft verrichtet, während wir gerade aßen. Darüber habe ich mich sehr geekelt. Diese Rai-Familie wurde später beraubt. Sie hatte immer große Mengen Mais geerntet, den sie dann verkauft hatten. Das Papiergeld, das sie dafür erhalten hatten, lagerten sie in einem Korb auf dem Speicher; Banken gab es damals ja nicht. Man sagte, sie hätten einen ganzen Korb voll davon gehabt. Eines Nachts kamen Diebe und nahmen das gesamte Geld mit. Man vermutete, daß es sich um ein wohlgeplantes Verbrechen handelte. Beschuldigt wurden zwei arme Tamang, die jedoch offensichtlich nur Helfershelfer von Sherpa gewesen waren.

Das Dorf des alten Mannes bestand aus nur vier Häusern. Sein Haus war das mit Abstand wohlhabendste und größte. Seine Frau berichtete, daß ein Kalb vermißt wurde. Ihr Mann schimpfte sie und die Kinder daher aus, bis sie sagte, daß sie sich seinetwegen viele Sorgen gemacht habe, weil er so lange weggewesen sei. Da war der Mann ruhig. Beide waren bereits verwitwet gewesen, ehe sie einander heirateten. Während ich die Frau lauste, erzählte sie mir, sie wolle auch in mein Dorf kommen, um Schwiegertöchter zu suchen. Offensichtlich war dies auf mich bezogen. Ich schwieg dazu. Meine Mutter hatte sich bereits früher gegen eine derartige Verbindung ausgesprochen. Sie sagte immer, die Leute hätten zwar ein zweistöckiges Haus, aber das könne man ja nicht essen. Von ihrem einstigen Wohlstand war wohl nicht mehr viel übriggeblieben.

Ich blieb etwa eine Woche bei dieser Familie. Das war eine recht angenehme Zeit für mich. Tagsüber hütete ich gemeinsam mit einer etwa sechzehnjährigen Tochter der Leute die Tiere. Das Mädchen erzählte mir, daß meine Cousine Kinzi, die bei ihrer Schwägerin arbeitete, von dieser schlecht behandelt würde. Sie werde ständig ausgeschimpft. Wenn sie beispielsweise nicht pünktlich mit dem Grünfutter nach Hause käme, würde ihre Schwägerin sie anschreien: "Schaust du die Leiche deiner Mutter oder deines Vaters oder deine eigene?" Solche Worte fassen wir als eine große Beleidigung auf.

Eines Abends lud mich diese Frau auch in ihr Haus zum Essen ein. Meine beiden Cousinen und ich erhielten Maissuppe mit Buttermilch. Wir unterhielten uns noch sehr lange. Kinzi, die viel älter als ich war, war im Alter von etwa elf oder zwölf Jahren als laom (Dienerin für andere Leute; auch als Schimpfwort verwendet) tätig geworden. Die Leute sagten ihr nach, die Gegend gefiele ihr so gut, daß sie ständig dabliebe. In Wirklichkeit stank ihr die ganze Sache jedoch und sie wäre am liebsten weggelaufen, wußte aber nicht, wohin. Auch bei ihr kam der Vater immer den Lohn holen, um ihn anschließend zu versaufen oder seine Schulden damit zu bezahlen. Sein Vorwand war immer, er benötige das Geld für den Brückenbau, den er zugunsten seiner schon lange verstorbenen Frau hatte ausführen lassen. Meinen Cousinen war sehr daran gelegen, daß ihre Mutter von nyala (Hölle) befreit würde und in den Himmel käme, wozu der Brückenbau beitragen sollte. Daher arbeiteten sie jahrelang, um die Kosten zu tragen. Jetzt aber hatte Kinzi einen Schlußstrich gezogen. In Zukunft wollte sie den Lohn für sich behalten und eines Tages davon Ohrringe kaufen. Kinzi arbeitete bestimmt schon sehr viele Jahre für andere Leute. Zuvor hatte sie bereits zwei andere Arbeitgeber gehabt, von denen sie aber weggelaufen war.

Ich kann mich noch schwach daran erinnern, daß ich einmal als ganz kleines Kind gemeinsam mit Kinzi bangma (Brei, der beim Schnapsbrennen übrigbleibt und dann als Viehfutter verwendet wird) von Yawa zu den Viehweiden oberhalb von Panma bringen mußte. Unterwegs machten wir Pause und überlegten, wie wir uns die schwere Last etwas erleichtern konnten. Wir beschlossen, die Flüssigkeit abzugießen, und warfen auch etwas von dem Brei weg. Damit unsere Großmutter das nicht entdeckte, deckten wir ihn mit Laub zu. Irgendwann im Frühling hatte Kinzi einmal zu mir gesagt, es müsse das ganze Jahr über wilde Beeren geben. Dann brauchten wir nicht mehr arbeiten zu gehen. So aber war die Beerenzeit nach zwei Monaten vorüber. Kinzi sagte, wenn es die Sonne und das Feuer nicht gäbe, dann gäbe es auch kein Leben auf der Erde. Diese Bemerkungen haben sich damals tief bei mir eingeprägt. Ich konnte mir aber auch nicht erklären, warum sich meine Cousine solchen philosophischen Gedanken hingab.

Kinzi erzählte mir auch ein paar Märchen von bösen Hexen, die Gasthäuser hatten, in denen sie Männer zur Übernachtung aufnahmen. Wenn die Männer dann schliefen, verschleppten die Hexen sie und fraßen sie anschließend auf. Eine andere Hexe konnte sich in ein besonders hübsches junges Mädchen verwandeln. Als dann ein junger Mann kam und sie als Braut mit nach Hause nahm, setzte sie sich hinter ihm auf das Pferd. Unterwegs bemerkte der Mann, daß gar kein hübsches junges Mädchen, sondern eine alte Frau von häßlicher Gestalt hinter ihm saß. Da zückte er wütend das Messer, doch die Hexe verwandelte sich rasch in einen alten Stiefel, der vom Pferd herunterpurzelte.

Als ich einmal mit Kinzis Mutter Heu erntete, kam auch Kinzi mit einer schweren Last vorbei. Sie arbeitete damals bereits für andere Leute. Kinzi blieb einige Zeit bei uns sitzen und unterhielt sich mit uns. Meine Tante gab ihr den Rat, sie solle auch schön fleißig für die anderen Leute arbeiten. Das hatte ich damals nicht verstanden. Einen solchen Rat hätte mir meine Mutter nicht erteilt. Vor lauter Schreck verschluckte ich mich an dem Mehlklumpen, den ich gerade aß. "Paß auf, du stirbst noch, wenn du gleichzeitig sprichst und ißt", lästerte meine Tante.

Später war Kinzi mit Hilfe ihres Vaters von ihrem ersten Arbeitgeber weggelaufen. Nachdem sie eine Woche in einem Rai-Dorf gewesen waren, suchten die beiden bei uns Unterschlupf. Leider gab es einen Verräter, der ihren Unterschlupf für eine verlauste Decke verriet. Dann ließ ihr Vater sie bei einem anderen Arbeitgeber arbeiten. Doch auch von diesem lief sie eines Tages fort und kam wieder zu uns. Ihre Arbeitgeberin rief laut zu uns herüber, ob Kinzi bei uns sei, aber Mutter verneinte dies. Wir haben Kinzi im Heu versteckt. Dann kam ihr Vater und machte uns Vorwürfe, wir hätten seine Tochter überredet, von ihrem Arbeitgeber wegzulaufen. Mein Vater hätte überhaupt kein Recht, über seine Tochter zu bestimmen. Er sei der Vater, und wenn er nicht mehr lebe, übernähme sein Bruder seine Rechte; erst danach käme mein Vater an die Reihe. Dann nahm er seine Tochter mit und brachte sie nach Pharak zu ihrem jetzigen Arbeitgeber.

Unsere Großmutter erzählte mir einmal, ihr Mann habe ihre Tochter, Kinzis Mutter, für ein Liter chang verschenkt. Opas Devise war immer, wer es im Leben schwer gehabt habe, der werde auch tüchtig arbeiten. Dies bezog er er auch auf Kinzis Vater, der selbst Vollwaise war. Opa wollte ihm daher eigentlich bei der Heirat mit seiner Tochter sogar etwas Land geben. Leider hat er diesen Vorsatz dann doch nicht realisiert. Noch am gleichen Tag, als meine Tante hörte, daß sie verschenkt worden war, soll sie krank geworden sein. Als mich meine Eltern später einmal zu ihrer Hütte in Akang schickten, um ihr mitzuteilen, sie solle die Felder meiner Eltern mitbestellen und später den entsprechenden Anteil an der Ernte behalten, lehnte sie dies ab. Vielleicht war sie damals auch schon zu krank. Ihre einjährige Tochter Sena vertraute sie einem Rai-mit an, weil sie befürchtete, bald sterben zu müssen. Die Rai-Familie erklärte sich bereit und nahm das Kind auf. Als meine Tante dann im Sterben lag, gingen ihre Eltern zu ihr, um ihr mit gutem Essen wie Fleischbrühe und Eiern wieder auf die Beine zu helfen. Großvater und seine Söhne schleppten die kranke Frau nach Yawa zu ihrem Elternhaus. Sie hatte ein eiterndes Geschwür am Bauch, hustete ständig und war nicht mehr in der Lage, selbständig zu gehen. Nach ein paar Tagen starb sie und wurde ohne großen Pomp verbrannt, wozu man auch Kinzi herbeigerufen hatte. Ich hörte die Musik des Leichenzuges, konnte aber selbst nicht hingehen, weil ich die Tiere hüten mußte. Meine Großeltern ließen später die Mönche in Takshindu für ihre Tochter beten.

Irgendwann besuchte mein Vater einmal die Rai-Familie, die seine Nichte Sena bei sich aufgenommen hatte. Diese kannte ihn natürlich nicht mehr und fragte ständig, wann der fremde Mann denn wieder wegginge. Sie verhielt sich wie ein Rai-Mädchen und sprach bereits damals keine Sherpa-Sprache mehr. Die Rai-Sprache war zu ihrer Muttersprache geworden. Einige Jahre danach ging einmal ihre Schwester Sumi zu ihr und wollte die kleine Sena mit sich nehmen. Sena wehrte sich jedoch und wollte mit dem fremden Mädchen nichts zu tun haben. Es ging ihr wirklich gut bei dieser netten Rai-Familie. Später als Sena groß war, ist dann Sumi hingegangen und hat Sena doch zu sich geholt, nachdem die Rai ihr erklärt hatten, daß Sumi ihre Schwester sei.

Über all diese Dinge haben wir uns damals in Pharak unterhalten. Es war schon spät in der Nacht, als wir uns auf dem Boden zum Schlafen niederlegten. Bald war es auch Zeit für mich, wieder zu meinen Arbeitgebern zurückzukehren. Die Schwester meines Arbeitgebers drängelte auch jeden Tag, ich müsse nun endlich wieder gehen. Das fiel mir etwas schwer, da es mir dort ganz gut gefallen hatte. Ein Freund meiner Eltern, der in jenem Dorf wohnte, gab mir noch ein paar Kartoffeln für unterwegs zu essen mit. Dann machte ich mich wieder auf den Weg nach Shiteling. Unterwegs kochte ich mir in einem Dorf meine Kartoffeln und aß. In einem anderen Dorf traf ich eine Frau, die am Wegesrand chang verkaufte. Ich sagte ihr, ich hätte leider kein Geld. Doch die Frau schenkte mir zwei Glas chang und meinte lachend, dafür könne ich ja später ihre Schwiegertochter werden. Am Abend übernachtete ich dann in einer Höhle, in der sich bereits sieben oder acht andere Mädchen niedergelassen hatten. Da ich keine große Lust hatte, rasch zu meinem Arbeitgeber zurückzukehren, ging ich am nächsten Tag so langsam, daß ich nur bis zum Rai-Dorf Yapil kam, wo ich bei einem mit meines Vaters übernachtete.

Als ich am nächsten Tag zu der Stelle zurückkehrte, wo ich meinen Arbeitgeber verlassen hatte, war die Hütte verschwunden und auch die Tiere waren weg. Offensichtlich waren die Leute weitergezogen. Eine Nachbarin erzählte mir, sie hätten sich unterhalb von Akang in einer Höhle niedergelassen. Als ich dort ankam, bekam ich angebranntes Popcorn zu essen. Einige Tage später zogen wir wieder um, diesmal zu einer hochgelegenen Stelle weit oberhalb von Akang. Von dort aus ging ich mit meinem Arbeitgeber nach Shiteling, um in einem Maisfeld das Unkraut zu jäten. Erst spät in der Dunkelheit kamen wir wieder zu unserer Hütte. Unterwegs forderte mich mein Arbeitgeber auf, schneller zu gehen, sonst käme der Bergleopard und würde mich fressen. Er selbst ging sehr schnell voran und versteckte sich hinter einem Baum. Als ich mich dann näherte, ahmte er das Geräusch eines Bergleoparden nach. Ich schrie und rief nach dem Onkel, wie ich meinen Arbeitgeber als Vetter meines Vaters immer anredete, erhielt jedoch keine Antwort. Später machte er sich dann vor seiner Familie über mich lustig, weil ich Angst gehabt hätte. Diese Sache ist mir sehr nahegegangen. Seit jener Zeit mochte ich die Familie nicht mehr.

Einmal kam der Bruder meiner Arbeitgeberin zu Besuch. Er hatte einen kleinen Hund bei sich. Als wir am Feuer saßen, bellte dieser Hund draußen vor der Tür, wo er angebunden war, ständig. Irgendwann rief die Schwester meines Arbeitgebers, die ganz in der Nähe ihre Hütte hatte, ein Bergleopard schleiche um ihre Tiere. Da nahm der Onkel einen großen brennenden Holzscheit, lief damit schreiend zur Hütte seiner Schwester, schmiß Steine in der Gegend herum und kam dann wieder zu unserer Hütte zurück. Angst kannte er anscheinend nicht. Wir saßen dann noch einige Zeit am Feuer und schlürften unsere Suppe. Auf einmal winselte der Hund draußen und quiekte kurz, dann war Ruhe. Wieder sprang der Onkel auf und wiederholte sein Schauspiel von vorhin. Der Hund war jedoch verschwunden. Wir hörten ihn in der Nähe nur noch einmal kurz quieken. Der Leopard hatte sich sein Opfer geholt.

Irgendwann mußte ich dann eine Hacke zu den Eltern meines Arbeitgebers nach Yawa zurückbringen. Das habe ich auch gemacht. Anschließend bin ich aber nicht mehr zur Hütte meiner Arbeitgeber zurückgekehrt. Ich tat zunächst so, als würde ich tatsächlich zurückgehen. Unterwegs begegnete ich Leuten, die später auch bestätigten, mich auf diesem Weg gesehen zu haben. Abends übernachtete ich dann bei meinem Onkel in Shiteling. Ich erzählte ihm, daß ich weglaufen würde, was er wortlos zur Kenntnis nahm. Am nächsten Tag ging ich weiter nach Phuleli und dann den Berg hinauf zum alten Nonnenkloster von Takshindu. Dort in der Nähe verweilte ich bei vier Frauen einer verwandten Familie, die sich da mit ihrer Herde aufhielten. Die älteste war Nonne, die übrigen waren auch nicht verheiratet. Bei ihnen bekam ich etwas zu essen. Irgendwann kamen zwei junge Sherpa mit einem Weißen vorbei. Er war der erste Europäer, den ich in meinem Leben sah. Einer der beiden Sherpa hatte bereits das Essen zubereitet, während der andere hinter dem Europäer herlaufen mußte. Dieser war in Richtung Takshindu-Paß davongelaufen, weil es ihm bei der Hütte zu schmutzig war. Dabei war es doch gar nicht schmutzig, die Tiere hatten den Boden lediglich knietief aufgeweicht, aber Matsch war für uns kein Schmutz. Später amüsierten wir uns, wie der Europäer mit grimmiger Miene auf seiner Schreibmaschine herumhackte. Es sah aus, als wollte er seinen ganzen Ärger an der Schreibmaschine auslassen.

Noch am gleichen Tag ging ich weiter zu der Familie in Ringmo, die mir meine Mutter genannt hatte. Ich blieb zehn Tage dort, an denen ich Laub aus den Wäldern holte und in der Höhle am Flußufer, wo die Leute ihre Tiere hatten, lagerte. Die Kinder der Familie und auch der Vater waren alle nach Darjeeling gegangen. Nur die jüngste Tochter war noch zu Hause. Dann ging ich wieder zu meinen Eltern nach Yawa zurück. Da kam mein Arbeitgeber und machte ein großes Theater, weil ich weggelaufen war. Er schimpfte auch mit meinem Vater und forderte den Arbeitslohn für das zweite Jahr zurück.

1 Lhangang ist das Sherpa-Wort für "Tempel". Takshindu ist der Name des Kloster oberhalb unseres Dorfes, Tengbuche ist ein berühmtes Kloster in Khumbu.
2 Es hieß immer, die Chinesen würden den von ihnen getöteten Tibetern die Ohren abschneiden und in Säcken sammeln, um so später zählen zu können, wieviele Tibeter sie getötet hatten.

Copyright © 1994, Lhakpa Doma Salaka-Binasa Sherpa