Lhakpa Doma Salaka-Pinasa Sherpa |
Sherwa mi - viel' Steine gab's und wenig Brot: Eine Sherpa-Tochter erzählt. Bad Honnef: Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung 1994. Natur Einmal kam ein Mann aus Ringmo in unser Dorf. Dieser Mann trieb hin und wieder etwas Handel mit Tibet. Er forderte uns auf, Naturalien aus den Wäldern zu sammeln. Diese Waren wollte er uns dann für einen Pfennigsbetrag abkaufen. Da wir jede Rupie gebrauchen konnten, nahmen wir das Angebot an. Mutter flocht extra kleine Körbe, in denen wir die Waldfrüchte sammeln konnten. Dann machten wir uns auf den Weg. Wir suchten in den Wäldern auf den Höhen oberhalb von Akang. Nachts haben wir in einer großen Höhle übernachtet. Wir suchten diesmal ausschließlich hrere. Das ist eine etwa daumengroße, längliche Knollenfrucht, die sehr gut zur Herstellung von Klebstoff geeignet ist. Die Gegend, in der wir suchten, war für diese Pflanze besonders bekannt. Alle waren sehr eifrig mit der Suche beschäftigt, denn jeder wollte die meisten Knollen einsammeln. Ich war damals noch recht klein. Ich erinnere mich, daß meine Mutter die anderen aufgefordert hatte, nur ja gut auf mich aufpassen. So bin ich meist hinter ihnen hergetrottet und konnte natürlich nicht so viele Knollen finden wie sie. Abends am Feuer haben die jungen Burschen, die dabei waren, noch lange gesungen. Meine Tante erzählte Märchen. Alle waren sehr fröhlich und ausgelassen. Irgendwann hörten wir das Geräusch eines Bergleoparden. Ich kann mich noch erinnern, daß wir dem Leoparden in die Dunkelheit der Nacht hinein zuriefen, er solle doch zu der Tamanggruppe gehen, die auch in der Nähe nach hrere suchte. Wir Sherpa würden nicht so gut schmecken. Der Volksmund sagt: Wenn der Leopard auf dem Erdboden kratzt, dann ist er in Trance wie ein Schamane. Er kratzt so lange, bis seine Tatzen wund sind. Erst wenn er Blut daran sieht, wird er in dieser Nacht ein Opfer finden. Am nächsten Tag hörten wir von unseren Tamang-Freunden, daß sie ihrerseits dem Leoparden den Rat gegeben hatten, zu den Sherpa zu gehen, weil die besser schmeckten. Als unsere Körbe voll waren, kehrten wir in unser Dorf zurück. Allen fiel auf, daß mein älterer Bruder Gyaltsen einen besonders vollen Korb hatte. Zu Hause stellte sich aber heraus, daß er wieder einmal Stroh unten in den Korb gelegt hatte, damit er besonders voll wirkte. Einige Leute sammelten auch Kletterpflanzen, aus denen rötlicher Farbstoff gewonnen werden kann. Andere wiederum sammelten die Rinde von dal, einer Strauchart, die zur Herstellung von Papier genutzt wird. Die Mitglieder unserer Familie durften wegen eines Schwurs meines Großvaters diese Rinde nicht einsammeln. Einmal haben Gyaltsen und ich in den Wäldern doch die Sträucher geschält. Wir wußten nichts von dem Schwur unseres Großvaters, und Vater hatte uns gesagt, wir könnten das ruhig machen. Als wir dann nach ein paar Wochen wieder nach Hause kamen, war unser kleiner Bruder Dawa krank. Mutter schimpfte sehr und machte uns dafür verantwortlich. Hin und wieder kam es zu größeren Flächenbränden. Diese konnten durch einen Blitzschlag entzündet werden. Oft aber war die Ursache, daß die Leute das Gras abbrannten und das Feuer anschließend außer Kontrolle geriet. Immer wenn im Frühjahr der Wind kam, war die Gefahr von Feuersbrünsten besonders groß. Einmal hatte es an den gegenüberliegenden Berghängen sehr stark gebrannt. Es hat bestimmt fast zwei Monate gedauert, bis das Feuer zum Erlöschen kam. Bereits eine Woche bevor wir die riesige Rauchwolke überhaupt sehen konnten, sprachen die Menschen davon. Alle flohen in Panik vor diesem Feuer. Irgendwann sahen wir es dann hinter Cherko. Es breitete sich weiter aus bis nach Takshindu und dann bis hinauf nach Rawuche. Der ganze Himmel war verdunkelt. Alles war in Rauchschwaden gehüllt. Sogar die Mönche und Nonnen in Takshindu zitterten aus Angst vor diesem großen Waldbrand, weil ihre Häuser auch in Gefahr waren. Als das Feuer endlich erlosch, waren die Berghänge ganz von schwarzem Ruß überzogen. Der Himalaya ist ein noch recht junges Gebirge, das sich immer noch weiter auffaltet. Da sich die südasiatische Platte weiter unter den asiatischen Festlandsockel schiebt, kommt es häufig zu kleineren Erdbeben. In bestimmten Zeitabständen gibt es aber auch größere Beben, die schwere Schäden hinterlassen. Das größte Erdbeben dieses Jahrhunderts fand am 15. Januar 1934 statt. Damals wurde auch das Wohngebiet der Sherpa sehr in Mitleidenschaft gezogen. Unsere Mutter hat jenes Erdbeben miterlebt und uns oft davon erzählt. Mutter war damals gemeinsam mit einem ihrer Brüder in den Wäldern unterhalb von Shiteling auf den Winterweiden zum Grasschneiden unterwegs. Auf einmal hörten sie vom gegenüberliegenden Berghang herüber die Schreie von Menschen und sahen aufwirbelnden Staub. Sie glaubten zunächst, es handele sich um irgendeinen Orkan. In diesem Augenblick begann unter ihren Füßen der ganze Erdboden zu wackeln und zu vibrieren. In Panik klammerten sich die beiden an einen der umstehenden Rhododendronbäume. Mutter sagte, es habe sich angefühlt, als würde auch dieser Baum davonlaufen. Die Schäden, die dieses Erdbeben damals in Kathmandu hinterließ, sind bekannt. Aber auch bei uns im Gebirge waren sie sehr groß. Noch heute sieht man in Chulemo die Mauerreste von dem großen Haus und dem Tempel von Omas Schwester und Schwager. Sie verloren bei dem Erdbeben zwei ihrer Kinder, die im Haus geblieben waren. Dieser Schwager war ein großer Künstler, der oft mani-Mauern baute. Die beiden haben später ihr Haus nicht mehr aufbauen können. Sie waren nach dem Erdbeben verarmt und besaßen nur noch eine Hütte. So wie ihnen muß es damals vielen Menschen ergangen sein. Die Opfer des Bebens waren vor allem Kinder, die nicht zur Arbeit auf den Feldern oder in den Wäldern waren und sich stattdessen in den Häusern aufhielten. Zwei Brüder und ihre Familien waren einst mit ihrer Viehherde auf den Almen in Tanggaphuk. Phuk bedeutet "Höhle". Dort ist auch tatsächlich eine Höhle, in der die Menschen übernachten können. Von dort kann man weiter nach Pharak gehen. Dies ist ein anderer Verbindungsweg von Shorong nach Pharak und weiter nach Khumbu. Insbesondere im Monsun ist dieser Höhenweg angenehmer zu begehen. Die Gegend ist überwiegend von Azaleen bewachsen, etwas weiter unterhalb wachsen noch Rhododendronsträucher; für Bäume ist sie schon zu hoch gelegen. Die Weideflächen sind im Sommer übersät mit Butterblumen, blauem Mohn, men (Medizinsträuchern), Fenchel und Blaubeeren. Man findet hier auch Wurzeln, die als Medizin benutzt werden, von denen ich glaube, daß es sich um Ginseng handelt. Die beiden Familien übernachteten nicht in der Höhle, sondern hatten ihr Lager draußen im Freien aufgeschlagen. Gegen Abend, als die Frauen und Mädchen gerade beim Melken waren, braute sich ein Gewitter zusammen. Blitze zuckten und der Donner grollte. Plötzlich schlug ein Blitz mitten in die Tier- und Menschengruppe. Sieben der Tiere waren auf der Stelle tot. Die Frauen lagen bewußtlos am Boden, sie haben jedoch überlebt Dies ist der einzige Fall, an den ich mich erinnern kann, daß Tiere vom Blitz getötet wurden, obgleich es doch sehr viele Gewitter gibt. Meist schlagen die Blitze aber in Bäume oder Felsen. Wenn der Blitz in einen Felsen eingeschlagen hat, findet man hinterher manchmal kleine schwarze Felsbröckchen, die vom Blitz abgeschlagen wurden. Die Menschen nehmen diese Steinbrocken, wenn sie lang und schmal sind, mit, da sie als Glücksbringer gelten. Man erzählt dann, es handele sich um Meteoritensplitter. Mir ist aber auch ein Fall bekannt, daß ein Mann vom Blitz getötet wurde. Er war erst jung verheiratet und lebte mit seiner Frau in einem kleinen Dorf oberhalb von Cherko. Seine Frau hatte bei der Hochzeit von den Hochzeitsgeschenken für ihre Schwiegereltern ein Stückchen vom phemat (Kegel aus geröstetem Gersten- oder Weizenmehl und viel Butter) abgebrochen und gegessen, da sie nach dem langen Anreiseweg großen Hunger hatte. Die Brauthelferin hatte sie davon abhalten wollen und ihr gesagt, das gehöre sich nicht, es handele sich schließlich um ein Geschenk für die Schwiegereltern. Doch die junge Frau ließ sich nicht abhalten. Daher sagten die Leute bereits damals, dies würde Unglück über die junge Familie bringen. Kurze Zeit später geriet der Mann in ein kräftiges Frühlingsgewitter, als er gerade in den Wäldern Gras für das Vieh holte. Möglicherweise wurde der Blitz von der großen Sichel angezogen, die er in der Hand hielt. Jedenfalls war der Mann auf der Stelle tot. |
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