Lhakpa Doma Salaka-Pinasa Sherpa
Hennef, Germany

Sherwa mi - viel' Steine gab's und wenig Brot: Eine Sherpa-Tochter erzählt. Bad Honnef: Deutsche Stiftung für internationale Entwicklung 1994.


Tiere

Was man von Tieren wissen sollte

Wenn man ein Tier, z.B. eine Kuh, verkauft und dieses Tier will absolut nicht bei seinem neuen Herrn bleiben, so bedeutet dies, daß man den Verkauf unbedingt rückgängig machen muß. In dem Tier steckt nämlich yang. Yang ist ein immaterielles Gut, das dem Besitzer des Tieres Glück bringt und alles Leiden von ihm fernhält.

Beim Verkauf eines Tieres ist es unbedingt erforderlich, von drei Stellen des Körpers (dem Kopf, dem Rücken und dem Schwanz) ein paar Haare abzureißen und zurückzubehalten. Auf diese Weise wird sichergestellt, daß das Gute, wie es zum Beispiel durch das yang verkörpert wird, zurückbleibt. Auf diese Weise kann man bedenkenlos ein Tier verkaufen, ohne Angst haben zu müssen, daß ein Leid über die Familie hereinbricht.

Wenn ein fremder kyi (Hund) zu uns kommt und vor der Tür stehen bleibt, nicht weggeht und um Essen bettelt, dann ist dies ein gutes Zeichen. Es bringt uns viele Reichtümer und Überfluß. Auf keinen Fall darf er weggejagt oder geschlagen werden. Vielmehr freut man sich darüber, wenn der Hund jeden Tag wieder vorbeikommt.

Hunde dürfen niemals geschlagen werden, da die Leute glauben, daß sie selbst eines Tages als Hund wiedergeboren werden können. Dann nämlich könnte es ihnen selbst ebenso schlecht ergehen wie nun diesem Hund hier.

Es gibt andererseits ein Sprichwort, das lautet: Kyila kyeara shog (Du wirst einmal als Hund wiedergeboren werden). Dieses Sprichwort gilt als eine Art Segensspruch ohne jeden negativen Beigeschmack.

Hundeschädel werden von den Menschen zu diversen Zeremonien benötigt, insbesondere wenn in der Familie jemand erkrankt ist. Dann wird ein Schamane herbeigerufen. Dieser verhext die Geister, die die Krankheit verursacht haben, in den Hundeschädel. Anschließend wird dieser an einer Wegkreuzung vergraben und mit Steinen zugedeckt, damit die Geister nicht mehr entweichen können. Damit ist sichergestellt, daß diese Geister nicht mehr zurückkehren. Wenn ein Hund des Nachts von einem Bergleoparden oder einem anderen wilden Tier gerissen worden ist, dann gehen die Menschen am nächsten Tag und holen sich den Kopf des Hundes zurück, um den Schädel später für Zeremonien zu verwenden.

Hundehaare von der Schwanzspitze werden auch zur Herstellung von Amuletten zur Krankheitsheilung und -abwehr benötigt. Wenn ich ein Hundeamulett trage, bin ich nämlich für die Geister nicht mehr ich selbst, sondern ich werde von diesen mit dem Hund identifiziert. Für Hunde aber interessieren sich die Geister nicht. Auf diese Weise schützt mich der Hund vor den Geistern.

Gibt man einem Hund eine Handvoll Brei, so wünscht er den Menschen, ihre Reichtümer möchten sich tausendfach vermehren. Daher geben die Menschen gerne, wenn sie von einem Hund angeschaut werden, da sie glauben, daß sie dann den Segen des Hundes erhalten.

Wenn ein kalag (Rabe) schreit, bedeutet dies eine schlechte Nachricht. Selbst wenn dir diese Nachricht im Augenblick noch nicht bekannt ist, wird sie dich mit Sicherheit schon bald erreichen.

Wenn im Dorf eine ungal (Eule) schreit, ist es von großer Bedeutung, in welche Richtung der Schwanz des Vogels zeigt. In dem Haus, in dessen Richtung der Schwanz der Eule zeigt, wird nämlich im Verlaufe des nächsten Jahres eine Person sterben.

Die Frauen glauben, daß die Haare besonders schön lang wachsen, wenn sie sich mit den Flügeln der pham togtog (Fledermaus) kämmen.

Fledermäuse zahlen keine Steuern. Wenn sie zum König kommen, sagen sie, sie hätten schon beim Minister gezahlt, kommen sie dann zum Minister, behaupten sie, sie hätten ihre Steuern schon beim König gezahlt.

Katze und Maus waren einstmals gute Freunde, lebten glücklich und zufrieden und spielten miteinander. Eines Tages tötete die Katze während des Spiels versehentlich die Maus. Obwohl sie ihr auch sehr gut geschmeckt hatte, bereute sie doch schon sehr bald ihre böse Tat zutiefst. Hatte sie doch nunmehr gar keine Freunde mehr auf dieser Welt.

Wenn man einen Hund auf die Fuchsjagd schickt, weil die Füchse (chipchang) sich immer über die Hühner hermachen, dann geht dieser nur so lange mit, wie auch die Menschen mitgehen. Sobald der Fuchs sich umwendet und dem Hund ins Gesicht schaut, stößt dieser sofort einen Schrei aus, wendet sich um und weigert sich, den Fuchs weiterhin zu jagen. Er erkennt nämlich in diesem Augenblick, daß der Fuchs sein Onkel ist.

Wenn Füchse heulen, dann stirbt jemand im Dorf. Man glaubt nämlich, daß im Fuchs die la (Lebensseele) eines Menschen Platz nimmt, der bald sterben wird. Wenn z.B. jemand sehr stark erschrickt und einen Schock bekommt, verläßt la sein Haus, den menschlichen Körper, und findet dann nicht mehr zurück.

Chechang sangye putih, ein kleiner schwarzer Vogel, badet jeden Morgen und jeden Abend in Flüssen oder Quellen. Dabei singt er immerzu sein Liedchen: "Beinahe bin ich die Frau des Königs geworden, beinahe die des Ministers, und ich habe ein Stückchen Salz verschluckt und bin beinahe daran gestorben." Dies ist der Grund, warum dieser Vogel so dünne Beine hat und sich eifrig immer badet und schön macht., ein kleiner schwarzer Vogel, badet jeden Morgen und jeden Abend in Flüssen oder Quellen. Dabei singt er immerzu sein Liedchen: "Beinahe bin ich die Frau des Königs geworden, beinahe die des Ministers, und ich habe ein Stückchen Salz verschluckt und bin beinahe daran gestorben." Dies ist der Grund, warum dieser Vogel so dünne Beine hat und sich eifrig immer badet und schön macht.

Ein Huhn (cha) sagt: "Hoffentlich stirbt die Frau des Hauses, damit ich um den Ofen herum scharren kann!" Es ist nämlich nicht gut, wenn Hühner um die Feuerstelle herumlaufen, da dieser Bereich als besonders heilig erachtet wird. Daher tragen insbesondere die Frauen Sorge, daß die Hühner sich dort nicht aufhalten.

Hühner sind sehr ängstliche Tiere. Man soll daher kein Hühnerherz essen, da man sonst Angst bekommt. Wenn jemand besonders ängstlich ist, so wird dies der Tatsache zugesprochen, daß er zu viele Hühnerherzen gegessen hat. Zu solchen Leuten pflegt man zu sagen: "Du hast Mut wie ein Huhn!"

Kröten (balwa) sind so platt, weil sie in 58 Jahren Unterricht nicht den Buchstaben ka1 gelernt haben. Da wurde ihr Lehrmeister zornig und schlug ihnen einen schweren Gegenstand auf den Kopf.

Als zom lhakye bezeichnet man bei uns die weißen Languren-Affen. Es gibt eine Geschichte, warum diese Affen ein schwarzes Gesicht haben. Vorfahren dieser Affen sollen einmal bei einer Familie einen Mörser gestohlen haben, weil sie gerne Salz leckten. Die Leute wurden sehr böse und schlugen mit einer brennenden Fackel nach den Affen. Dabei haben sie ihnen das Gesicht verbrannt. Daher haben die zom lhakye heute ein schwarzes Gesicht.

Die heilige Kuh

Die Sherpa sind bekanntlich Buddhisten. Doch sie leben in einem Staat, dessen Gesetze von einer hinduistischen Bevölkerung bestimmt werden. Daher müssen sich auch die Sherpa, genau wie alle anderen buddhistischen Ethnien Nepals, an die Hinduvorschriften halten. Zu den grundlegenden Hinduvorschriften gehört die Heilighaltung der Kuh. Niemals darf einer Kuh ein Leid zugefühgt werden.

Ein Sherpa ärgerte sich einmal sehr darüber, daß eine Kuh seines Nachbarn dauernd in sein Feld lief und dort das Getreide wegfraß. Als er diese Kuh eines Tages wieder einmal auf frischer Tat ertappte, nahm er einen Knüppel und schlug damit so fest auf das Tier ein, daß es sich ein Bein brach. Als sich dieser Zwischenfall herumsprach, gingen die Männer aus diesem und dem Nachbardorf hin, banden den Mann eine Woche lang an einen Pfahl fest und hielten Wache bei ihm. Derweil schienten die Männer das gebrochene Bein der Kuh. Außerdem gaben sie der Kuh viele Misteln zu fressen, denen eine heilende Wirkung zugesprochen wird. Wenn die Kuh sterben würde, so drohten sie dem Mann, würden sie ihn an die Polizei ausliefern. Der Mann hatte jedoch Glück; die Kuh überlebte. Wie man sieht, wird die Einhaltung der Hinduvorschriften auch von den Sherpa für wichtig erachtet.

Der Wasserbüffel aus Kundruk

Opas Pächter aus Kundruk, ein Tamang, besaß einmal einen einzigen Wasserbüffel, den er zuvor einer Rai-Familie abgekauft hatte. Eines Tages mußte Vater unbedingt diesen Büffel kaufen und brachte ihn nach Hause. Mutter schimpfte sehr, was sie übrigens gut konnte. Sie sagte, Sherpas dürften keine Schweine halten und auch keine Büffel. Büffel wären so etwas ähnliches wie Schweine. Wenn ein Büffel im Haus wäre, dann könnte das Schaden anrichten. Es könnte jemand krank werden.

Weil Mutter keine Ruhe gab, lenkte Vater ein, und die beiden brachten den Büffel gemeinsam zurück nach Kundruk. Als sie dort ankamen, fanden sie sowohl die Frau des Tamang als auch seine sechs Kinder heulend vor. Auch sie waren alle dagegen gewesen, daß der Mann seinen einzigen milchgebenden Büffel verkauft hatte. Ich glaube, alle Beteiligten waren sehr erleichtert, daß der leichtfertige Handel rückgängig gemacht wurde.

Diese Tamang-Familie aus Kundruk war nämlich sehr arm. Sie hatten nicht genug zu essen, obgleich Großvater den Pachtpreis von zwei muri (ein Hohlmaß, ca. 87 l) nie erhöht hatte. Ihre Kinder waren so unterernährt, daß sie ständig nur im Sonnenschein auf den Steinplatten lagen und schliefen, wenn wir unternehmungslustig durch die Wälder streiften.

Die Kuh aus Akang

Vater hatte einmal in Akang, einem nahegelegenen Rai-Dorf, eine Kuh gekauft, die gerade ein Kalb zur Welt gebracht hatte. Diese Kuh galt aber als unheimlich wild. Niemand konnte sie melken, und daher waren die Rai an ihrem Verkauf interessiert. Vater mußte unbedingt beweisen, daß er kein Problem mit dem Tier haben würde. So brachten sie zu vier Männern die arme Kuh mit einer Leine in unser Dorf.

Es war zweifelsohne ein besonders schönes Tier. Aber sie wollte niemanden an sich heranlassen. Sie stieß immer mit den Hörnern und trat nach hinten aus. Vater versuchte dennoch die Kuh zu melken, schaffte es aber nicht. Er trug nur einige blaue Flecken davon. So gab mein Vater auf und verkaufte die Kuh weiter an einen der anwesenden Männer aus Chulemo. Wir haben zu unserem Erstaunen später gehört, daß dieser Mann gar keine Probleme mehr mit der Kuh gehabt haben soll.

Kha tamo (Wölfe) (Wölfe)

Es war im Monat jeth (Mai/Juni). Mein jüngerer Bruder und ich mußten auf die zom-Herde, die aus etwa 20 Tieren bestand, aufpassen. Mutter hatte uns in der Nähe der sogenannten lingdung gu (Neun-Wasser-Quelle) mit den Tieren alleine gelassen. Sie selbst ging zur Hütte zurück, um die Anpflockstellen der Tiere zu säubern. Vater und unser älterer Bruder waren in den Wäldern, um Laub zu holen. In den Wäldern gibt es eine Baumsorte, ramat genannt, die sehr eiweißhaltig ist. Diese Bäume wachsen meist in felsigem Gelände.

Es war ein wunderschönes warmes Wetter. Die Sonne schien, der Himmel war blau. Angenehm kühl war es nur im Schatten der Bäume. Der Gesang der Vögel im Dickicht wurde lauter und lauter. Wir bemerkten jedoch diesen ohrenbetörenden Lärm nicht, aber wir waren auch etwas müde vom Spielen, Singen und Steinewerfen. Mein Bruder und ich trennten uns ein wenig. Er blieb weiter unten bei einer schwarzen Kuh namens Rongmu (alle schwarzen Kühe heißen so), die etwas geschwächt war. Während die Kuh fraß, kletterte Dawa neben ihr auf einen Baum, um frisches Laub zu schneiden.

Ich spielte weiter oben am Hang mit einem anderen kleinen Jungen aus dem Dorf. Ich machte einen Armreif aus weichem Holundermark und schenkte ihn dem Jungen. Die Tiere hatte ich völlig vergessen. Da hörte ich auf einmal meinen Bruder laut weinen. Er rief: "Große Schwester, die Hunde beißen unsere Rongmu! Hilfe!" Ich dachte, "was weint der denn nur so", und rannte rasch in seiner Richtung über Stock und Stein. Da sah ich meinen zeternden Bruder auf einem Baum sitzen und unten darunter hatte sich ein Wolfsrudel über unsere Kuh hergemacht. Diese lag auf dem Rücken, und die Wölfe zogen ihr das Gedärm aus dem Leib und zankten sich gegenseitig um die besten Stücke.

Ich weiß nicht mehr, was sich in den nächsten Augenblicken genau abspielte. Ich schrie: "Mutter! Mutter! Hilfe! Hilfe! Die Wölfe haben unsere Rongmu getötet!" Schreiend lief ich in Panik den Hang entlang zur Hütte. Und hinter mir drein folgten neun zom. Ich hatte das Gefühl, sie wollten mich schützen. Schließlich kam ich mit den Tieren bei der Hütte an. Mutter sagte, ich sollte mich beruhigen, die Tiere wären ja fürchterlich nervös. Erst in diesem Augenblick bin ich wieder richtig zu mir gekommen und habe mich beruhigt. Eines der zom wollte mich offensichtlich trösten und leckte mich am Kopf, wie die Tiere es bei ihren Kälbern tun.

Während Mutter langsam mit den Tieren folgte, schickte sie mich wieder voraus zu Dawa und den restlichen Tieren. Als ich dort ankam, waren die Wölfe zum Glück verschwunden. Anscheinend waren sie satt. Dawa saß noch immer auf dem Baum und schluchzte leise vor sich hin, stumm und mit geröteten Augen. Er stand wohl noch unter Schock. Unmittelbar neben dem Kadaver der toten Rongmu graste unsere bunte Samo (Bezeichnung für alle bunten Kühe), als ob nichts geschehen wäre. Wir stellten fest, daß die einzige junge Büffelkuh, die wir besaßen, fehlte. So machte ich mich auf die Suche. Schließlich fand ich sie weiter oberhalb, doch sie war nicht allein. Zwei Wölfe waren bei ihr und versuchten, sie anzugreifen. Ich hörte schon von weitem ihr stoßartiges Gebrüll. Die Büffelkuh wehrte sich tapfer, indem sie nach vorne mit den Hörnern zustieß und nach hinten mit den Hinterbeinen ausschlug. Ich nahm ein paar Steine und warf sie nach den Wölfen, die sich daraufhin aus dem Staub machten. Aber es fehlte auch noch eine andere braune Kuh. Ich dachte schon, auch sie wäre gerissen worden. Aber schließlich fand ich sie irgendwo im Dickicht.

Später, als sich alles wieder normalisiert hatte, sagte ein Mann, der das ganze Geschehen aus einiger Entfernung von seinem Kartoffelfeld aus beobachtet hatte, es habe sich genauso angehört, als sei ein Donnergewitter niedergegangen. Er hätte sich schon Sorge gemacht, daß die Tiere mich zertrampeln würden. Aber für Mutter war ich ja unsterblich. Der Mann half uns, das, was von Rongmu übriggeblieben war, zu zerlegen. Wie es so üblich war, bekam er dafür den Kopf des Tieres. Als der Mann gegangen war, kritisierte Mutter, der Mann habe den Kopf viel zu tief abgeschnitten und noch einen großen Teil des Rückens mitgenommen.

Mein Bruder und ich wollten am liebsten nie wieder auf die Tiere aufpassen. Lieber gingen wir freiwillig auf dem Feld Unkraut hacken. Das war zwar die reinste Schinderei, aber wir brauchten keine Angst vor den Wölfen zu haben. Die Sonne brannte uns dort nämlich auf den Kopf, so daß wir stets Kopftücher tragen mußten. Der Mais verschrumpelte wegen der Hitze schon auf den Halmen. Das Unkraut, das wir rupften, war am Abend wie Pulver. Einmal habe ich leckere kühle Buttermilchsuppe zu Mittag gegessen. Anschließend habe ich mich an den Feldrand gesetzt, wo ich eingeschlafen bin und erst am Abend wieder wach wurde. So fleißig waren wir gewesen.

Zig (Leopard) (Leopard)

Es war Frühjahr. Wir hatten bereits die Kartoffeln gepflanzt und den Mais gesät. Unsere Tiere hatten wir am Rande des Ackers in einem Unterstand angebunden, damit sie nicht durch die Felder streunten. Erschöpft von der Arbeit auf dem Terrassenfeldern hatten wir uns zu unserem etwas oberhalb gelegenen Haus zurückgezogen und schlürften eine leckere Eintopfsuppe. Unsere Stimmung war ziemlich gut, weil wir die harte Arbeit hinter uns wußten, und wir machten uns keinerlei Gedanken über die sonstigen Alltagssorgen.

Da hörten wir plötzlich unsere schwarze Kuh, die wie alle schwarzen Kühe "Rongmu" gerufen wurde, laut schnauben und mit den Hörnern und Hufen gegen die Tür hämmern. Wir waren alle sehr erschrocken, weil wir doch wußten, daß wir Rongmu unten am Unterstand festgebunden hatten. Mutter begriff als erste die Gefahr und schrie "zig", was Leopard bedeutet. Vater, meine beiden Brüder und ich ergriffen brennende Holzscheite aus der offenen Feuerstelle und rannten mit viel Geschrei den Hang hinab zum Unterstand der Tiere. Unterwegs hoben wir Steine auf und schleuderten sie in Richtung Tierstall.

Natürlich hatten wir alle ein ungutes Gefühl. Wir wußten ja schließlich nicht, was uns erwartete. Wenn es tatsächlich ein Leopard war, der unsere Tiere angegriffen hatte, dann mußten wir auf der Hut sein. Alte oder kranke Leoparden griffen hin und wieder auch Menschen an. Und ein derartiges Tier trieb sich in letzter Zeit in der Umgebung des Dorfes herum und hatte schon großen Schaden angerichtet. So waren bereits mehrere Hunde und Ziegen sein Opfer geworden.

Als wir zum Tierunterstand kamen, sahen wir, daß der Leopard tatsächlich dagewesen war. Er hatte unsere buntgefleckte Samo gerissen. Das tote Tier lag auf dem Rücken. Der Leopard hatte die ganzen Innereien herausgerissen. Sehr viel gefressen hatte er offensichtlich nicht. Es blieb uns nichts anderes übrig, als den Tierkadaver auszuschlachten. Rongmu war unmittelbar neben der gerissenen Kuh angebunden gewesen. Sie war ein unwahrscheinlich schlaues Tier. Bereits früher hatten wir sie einmal ins Nachbardorf verkauft. Aber damals hatte sie sich dort losgerissen und war wieder zu uns zurückgekehrt. Auch diesmal hatte sie den Pflock aus der Erde gerissen, als der Leopard kam, und uns gewarnt. Anschließend lief sie wieder zusammen mit uns den Hang hinab zum Stall. Die anderen Tiere kauten einfach weiter, als ob überhaupt nichts passiert wäre.

Vater hat anschließend vierzehn Nächte unten bei den Tieren Wache gehalten. Er machte ein großes Feuer, um den Leoparden abzuhalten. Kurz nach Einbruch der Dunkelheit hörte er immer Geräusche im Unterholz. Dann warf er mit Steinen in diese Richtung und stieß laute Schreie aus. Ein paar Tage später riß der Leopard noch vor Einbruch der Dunkelheit bei Nachbarn eine Kuh. Kurz darauf riß er auch noch bei anderen Leuten aus dem Dorf ein zom. Danach haben wir nichts mehr von ihm gehört.

Meine erste Begegnung mit einem Leoparden lag damals bereits viele Jahre zurück. Ich war zu jener Zeit noch recht klein gewesen. Gemeinsam mit meiner Tante und meinem älteren Bruder war ich nyungma, eine bis zu etwa sechs Meter hohe Bambusart, schneiden gegangen. Dieser Bambus wuchs zwischen riesigen Kastanienbäumen und Eichen in teilweise grasigem, teilweise felsigem Gelände in der Nähe eines Baches.

Als es schon bald dämmrig wurde, drängte mein Bruder zur Eile. "Wann bist du endlich fertig? Gleich kommt der Bergleopard und frißt dich." Da fing ich furchtbar zu zetern und zu heulen an. Ich dachte nämlich, der Leopard würde wirklich kommen und mich fressen. Ich war ganz aufgeregt und hatte außerdem Probleme mit den langen Bambusstangen; ich war ja schließlich noch recht klein und unerfahren. Plötzlich erblickte ich über mir auf einer Felskante tatsächlich den Kopf eines Leoparden. Entsetzt schrie ich auf: "Der ist schon da!" Sofort machten mein Bruder und meine Tante viel Lärm, um den Leoparden zu verscheuchen. Diesem war die Sache wohl auch nicht ganz geheuer. Er machte einen riesigen Satz über mich hinweg auf einen anderen Felsen und verschwand.

Die anderen halfen mir jetzt beim Binden des Bambusses. Ich weigerte mich aber, vorne oder hinten zu gehen. Ich stand noch so unter Schock, daß ich nur mitten zwischen den beiden anderen gehen wollte. Als wir über den Fluß waren und bei Nachbarn vorbeikamen, die dort mit ihren Tieren lagerten, hatten diese ein riesiges Feuer gemacht. Sie sagten, ihre Tiere seien schon die ganze Zeit über sehr unruhig gewesen. Sie hatten wohl den Leoparden gewittert.

Die Bettlerin

Anfang September, als der Mais gerade reif wurde, ging eine Kami-Frau (Frau eines Schmieds), die am Rand eines kleinen Dorfes am gegenüberliegenden Berghang wohnte, in ihr Dorf, um bei den Sherpa-Familien des Dorfes ein paar Maiskolben zu erbetteln. Sie wußte natürlich genau, wo freundliche Menschen wohnten, die ihr gerne etwas für ihre hungrigen Kinder abgaben.

So kam es, daß eine Sherpa-Familie ihre Tochter auf das Feld schickte, etwas Mais zu holen. Als das Mädchen zum Feld gelangte, sah es, daß sich in der vergangenen Nacht ein Bär reichlich an dem leckeren Mais bedient hatte. Die Bären haben die Eigenschaft, bei ihren Plünderungen sehr verschwenderisch vorzugehen. Sie fressen nämlich nur immer eine Seite der Kolben ab; den Rest lassen sie liegen und wenden sich dem nächsten Kolben zu. Entsprechend verwüstet sehen hinterher die Felder aus. Besonders wenn der Mais noch sehr jung und milchig ist, ist dies einen großen Verlust für die betroffenen Leute.

Normalerweise kommen die Bären nur nachts in die Felder und verlassen diese anschließend wieder, um sich in irgendein Gestrüpp oder auf Bäume zurückzuziehen. Diesmal hatte der Bär offensichtlich soviel gefressen, daß er sich gleich im Feld zum Schlafen niedergelegt hatte. Als das Mädchen nun ins Feld ging, um einige Kolben abzupflücken, wurde der Bär wach und stürzte sich zornig brüllend auf das Kind. Er zerrte es hin und her und ließ erst davon ab, als es bewußtlos am Boden lag. Offensichtlich hatte er das Mädchen für tot gehalten.

Die Dorfbevölkerung war durch den Lärm aufmerksam geworden, doch traute sich keiner, dem Kind zu Hilfe zu eilen. Erst als der Bär sich gegen Mittag gemächlich zurückzog, näherten sich die Leute dem reglos daliegenden Körper des Mädchens. Alle gingen davon aus, daß es tot sein mußte, nach allem was geschehen war. Zur Überraschung aller war das Kind zwar schwer verletzt, jedoch nicht tot. Es hatte überall Schrammen, Kratzer und Prellungen davongetragen. Besonders markant waren die dicken Schrammen, die die Pranken des Bären quer über ihre Wange gezogen hatten. Dieses Ereignis wurde uns von den Erwachsenen immer als Warnung vorgehalten, nicht am frühen Morgen in die reifen Maisfelder zu gehen.

Die Narben sollten die Frau ein Leben lang zeichnen und machten es ihr schwer, einen Ehemann zu finden. Irgendwann hat sie dann ein Sherpa als Frau mit nach Indien genommen. Wir hörten später jedoch, daß dieser Mann in Indien bereits eine Frau hatte und das unglückliche Mädchen unterwegs wieder sitzenließ.

Der Bärentöter

In einem kleinen Dorf zwischen Ringmo und Salleri hatte man einmal wochenlang Probleme mit einem Bären. Dieser pflegte Nacht für Nacht in die Weizenfelder des Dorfes zu kommen und sich satt zu fressen. Schließlich trat das Dorfkomitee zusammen und beschloß, etwas gegen diesen Mißstand zu unternehmen.

So machte man sich am hellichten Tage auf die Suche nach dem Bären. Die Bewaffnung der Männer bestand aus khudpa (nep. khukuri), Äxten, Messern und Stöcken. Es war nicht sonderlich schwer, den Spuren des Pelztiers zu folgen. Die Männer gingen alle gemeinsam in einer Gruppe. Dennoch hatten sie große Angst vor der Begegnung mit dem Bären. Sie vermuteten, daß er irgendwo im Gebüsch liegen und schlafen würde.

Es zeigte sich, daß diese Annahme durchaus zutreffend war; die Gruppe fand den Bären schließlich schlafend in einem Gebüsch vor. Der mutigste der Jäger, der schon die ganze Zeit über vorausgegangen war, näherte sich sofort dem großen Tier. Ausgerüstet nur mit einer Axt, versuchte er, das Tier zu töten. Es lag auf der Hand, daß dies nicht mit einem einzigen Hieb zu bewerkstelligen war. Als der verletzte Bär zornig aufbrüllte, ergriffen die übrigen Männer panikartig die Flucht. So ließ sich hinterher der blutige Kampf zwischen Mann und Bär nur noch rekonstruieren. Als sich die Männer nach einiger Zeit wieder trauten, zu dieser Stelle zurückzukehren, da keine Kampfgeräusche und kein Bärengebrüll mehr zu hören waren, lagen Mann und Bär blutüberströmt auf der Erde. Beide gaben kein Lebenszeichen mehr von sich. Die Wunden beider Beteiligter zeugten von einem blutigen Kampf, bei dem jeder austeilte und einsteckte.

Den anderen Männern blieb nichts mehr übrig, als die Leichen von Mann und Bär ins Dorf zurückzutragen. Das Dorf war von einer großen Last befreit worden. Der Getötete aber hinterließ eine Frau und fünf Kinder. Nach einiger Zeit verheiratete ihr Schwiegervater sie mit einem meiner verwitweten Onkel - seine erste Frau war nach der Geburt des dritten Kindes am Kindbettfieber gestorben -, die Kinder blieben bei den Großeltern zurück.

1 d.h. den ersten Buchstaben des Alphabets

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