Karl-Heinz Kraemer |
Nepal: das Palastmassaker und seine Auswirkungen In: Asien, 81:83-88 (Oktober 2001) Das Jahr 2001 wird sicherlich als eines der schwärzesten Jahre in die Annalen der nepalischen Geschichte eingehen. Zehn Jahre nach der Demokratisierung tut sich das Land zunehmend schwerer, die hochgesteckten Erwartungen zu erfüllen. Das Problem ist dabei weniger die Tatsache, daß die erhoffte Demokratisierung Zeit braucht, sondern eher die Art, wie die verantwortlichen Politiker und Parteien scheinbar zielstrebig jeden positiven Ansatz im Keim ersticken. Die aus dieser negativen Entwicklung resultierende Unzufriedenheit einer zunehmend besser gebildeten, von der Verfassung mit weitgehenden Freiheitsrechten versehenen und, daraus resultierend, politisch bewußteren Bevölkerung macht sich nicht allein über die Medien und Interessenvertretungen Luft. Ein weiteres Indiz ist auch der erhebliche Zuspruch, den die CPN (Maoist) trotz ihres brutalen und oft menschenrechtsverachtenden Vorgehens aus immer größeren Teilen der Bevölkerung erhält. Zu einer Zeit, als die Maoisten ihre Aktivitäten erheblich verstärkten, zunehmend auch im Osten des Landes Fuß fasten und den Ring um die Hauptstadt Kathmandu immer enger schnürten, bedeutete das Massaker, das am 1. Juni 2001 fast die gesamte Königsfamilie auslöschte, einen weiteren Rückschlag für das ohnehin schon krisengeschüttelte Land. Dieses Ereignis hat wie kein anderes seit 1990, als eine Volksbewegung das Ende der absoluten Monarchie und des parteilosen Panchayat-Systems erzwang, das gesamte Land erschüttert und neue Voraussetzungen geschaffen. König Birendra galt für viele Menschen nicht nur als Symbol der Einheit einer von gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Ungleichheit gezeichneten Nation. Angesichts des Versagens der gewählten Volksvertreter hinsichtlich einer Lösung der zahlreichen Probleme des Landes, einschließlich des maoistischen Konflikts, hatten viele Nepali in König Birendra eine letzte Hoffnung gesehen. Der Umgang mit den Palastvorgängen vom 1. Juni, die Desinformation der Bevölkerung, die Behandlung des Ereignisses in den Medien, der verspätete und nur vage Versuch einer Aufklärung des Geschehens, machte nicht nur erneut die Schwäche der Regierung deutlich sondern zeigte auch, daß alles, was sich hinter den hohen Palastmauern abspielt, nach wie vor außerhalb von Recht und Ordnung steht und möglichst nicht hinterfragt werden sollte. Es scheint, als sei die Regierung einschließlich des damaligen Premierministers Koirala zunächst nicht über die Abläufe informiert worden. Weder Justiz noch Polizei wurden zu einer Untersuchung der Vorfälle oder zur Vorbereitung der Leichenverbrennungen herangezogen. Die Ermordung der gesamten engsten Königsfamilie und einiger weiterer Verwandter im von großen Militäreinheiten auf das Strengste bewachten Königspalast wurde so zu einem Mysterium. Wichtigste Beweismittel wurden zerstört. Der Gerüchteküche wurden Tür und Tor geöffnet. War der Kronprinz der allein Verantwortliche, wie man unmittelbar nach dem Massaker erklärte? War es ein explodierendes Maschinengewehr, das gezielt die engste Königsfamilie auslöschte, wie man am nächsten Tag erklärte? War das ganze ein Machwerk des jüngeren Bruders König Birendras, der als einziger Nutznießer nun den Thron bestieg? Gab es gar ein Mitwirken Indiens, wie aus maoistischen Kreisen verlautete? Oder standen gar die Maoisten selbst dahinter, wie es in anfänglichen internationalen Nachrichten angedeutet worden war? Erst angesichts des enormen Volkszorns sah sich der neue König Gyanendra bei seiner Krönung am 4. Juni genötigt, eine Untersuchungskommission einzuberufen. Bezeichnenderweise entschieden erneut nicht Exekutive und Judikative sondern der nur noch formal an der Exekutive beteiligte Monarch über die Einberufung und Zusammensetzung der Kommission. Da Oppositionsführer Madhav Kumar Nepal (CPN-UML) genau aus diesem Grunde auf eine Beteiligung verzichtete, bestand die Untersuchungskommission schließlich nur noch aus dem Obersten Richter und dem Parlamentssprecher. Der offizielle Untersuchungsbericht Die beiden Kommissionsmitglieder besichtigten die Stätte des Massakers und befragten überlebende Anwesende sowie Angehörige des Palastpersonals und Ärzte des Militärhospitals, in welches die Toten und Verletzten unmittelbar nach dem Massaker gebracht worden waren. Fazit des offiziellen Untersuchungsberichts ist, daß Kronprinz Dipendra unter Einfluß von Alkohol und Drogen allein das Massaker an seiner Familie begangen hat. Er sei bereits betrunken gemeinsam mit seinem Vetter Paras, dem einzigen Sohn des neuen Königs Gyanendra, nach Hause gekommen, als sich bereits zahlreiche Mitglieder der Königsfamilie zu dem turnusmäßigen Familientreffen eingefunden hatten. Nach weiterem Alkoholgenuß und dem Rauchen von Drogen habe sich der Kronprinz nicht mehr aufrecht halten können und sei von vier Personen gestützt zu seinem Zimmer gebracht worden, von wo er mehrere Telefongespräche mit seiner Freundin Devyani Rana führte. Danach habe er Militärkleidung angezogen und sei mit Waffen im Gewicht von ca. 40 kg zu der Familienversammlung zurückgekehrt. Dort sei er dann zwischen zwei Räumen und einem Garten mehrfach hin- und hergegangen und habe seine Eltern und die beiden Geschwister sowie zehn weitere enge Verwandte erschossen bzw. schwer verletzt. Zwischen dem letzten Telefongespräch mit Devyani Rana und den tödlichen Schüssen können aufgrund der Ankunftszeit der Toten und Verletzten im Militärkrankenhaus maximal 20-30 Minuten gelegen haben. Kurz nach der Ankunft im Krankenhaus stand fest, daß zehn Mitglieder der Königsfamilie tot waren; Kronprinz Dipendra starb am frühen Morgen des 4. Juni; sein Onkel Dhirendra, der jüngste Bruder König Birendras, erlag nur wenig später seinen Verletzungen. Zu den schwerverletzten Überlebenden zählten die Frau Gyanendras und heutige Königin, Komal Rajya Laxmi, und Kumar Gorakh Rana, der Ehemann von Dipendras Schwester Sruti. Unverletzt blieben Königinmutter Ratna Rajya Laxmi und Paras Shah, der einzige Sohn des neuen Königs Gyanendra sowie mindestens zehn weitere eingeladene Personen und alle anwesenden Bediensteten. Der offzielle Bericht greift jene Erklärung auf, die bereits kurz nach dem Massaker verbreitet, später jedoch dementiert worden war: Das Massaker wurde ganz allein von Kronprinz Dipendra begangen, der zwischenzeitlich, obgleich im Koma liegend, für zwei Tage zum neuen König erklärt worden war. Doch anstatt wirklich aufzuklären, verstrickt sich der Bericht in Widersprüche, läßt viele Fragen völlig offen und unternimmt keinen Versuch, die Frage eines möglichen Motivs zu klären. Der in der internationalen Presse so intensiv zitierte Dissens mit seiner Mutter, Königin Aishwarya, über eine mögliche Heirat Dipendras mit Devyani Rana wird nur indirekt angesprochen. Zu den vielen Fragen, die offenbleiben gehören beispielsweise:
Dies sind nur einige der zahlreichen Fragen, die der offizielle Untersuchungsbericht offenläßt. Sie machen deutlich, daß von einer wirklichen Klärung der Vorgänge keine Rede sein kann. Es wurde eine Version als gegeben besiegelt, an die kaum jemand im Volk so richtig glauben wollte, die aber, da auch der genannte Täter tot war, eine Fortdauer der Monarchie mit einem neuen Familienzweig ermöglichte. Folgen für die Monarchie Der neue König Gyanendra tritt zweifelsohne ein sehr schweres Erbe seines ermordeten Bruders an. Da ist zunächst das Mißtrauen, das ihm aus großen Teilen der Bevölkerung begegnet und für das es verschiedene Gründe gibt. Viele Menschen in Nepal wollen nicht glauben, daß nach dem offiziellen Untersuchungsbericht wahr ist, was einfach nicht wahr sein darf. So mag der Bericht trotz der vielen offenen Fragen eine Erklärung sein, die der Wahrheit nahekommt, die aber vor allem auch dazu dienen soll, das aufbegehrende Volk zu beruhigen. Dies hängt sicherlich auch mit der großen Distanz von Königsfamilie und Volk zusammen. Zwar werden die Monarchen schon seit Generationen ob ihrer großen Volksnähe gepriesen, doch in Wirklichkeit verschanzen sie sich hinter hohen Palastmauern, und niemand außerhalb ist über die Ereignisse und das Leben dort wirklich informiert. Auch diejenigen, die aus beruflichen oder anderen Gründen Zugang zum Palast haben, wahren absolute Verschwiegenheit. So war es möglich, daß in der Öffentlichkeit ein Bild der Königsfamilie vermittelt und gepflegt wurde, das ohne jeden Makel und frei von den üblichen zwischenmenschlichen Spannungen und Problemen war, die den Menschen außerhalb der Palastmauern so vertraut sind. Hartnäckig ausgetragene Meinungsverschiedenheiten über die Wahl der Ehepartnerin, und damit die Bestätigung des Verfalls traditioneller Kultur- und Verhaltensweisen, Mißbrauch von Alkohol, Drogenabhängigkeit, Besitz von und leichtfertiger Umgang mit Kriegswaffen usw., all das also, was nun eine ganz entscheidende Rolle bei dem Massaker vom 1. Juni gespielt haben soll, paßt nicht in das verklärte Bild der nepalischen Königsfamilie. Daher fällt es der Öffentlichkeit schwer, an diese Darstellung der Ereignisse zu glauben; daher scheute wohl die Untersuchungskommission eine Klärung der vielen Ungereimtheiten, obgleich nur hier der Schlüssel zu einer Erklärung zu finden gewesen wäre. Ferner bleibt die Frage: Was wird nach Gyanendra sein? Sein einziger Sohn, Paras, erscheint aufgrund seiner zahlreichen Eskapaden als König untragbar; bezeichnenderweise hat sein Vater ihn auch nicht zum Kronprinzen nominiert. Was bliebe, wäre allenfalls die Adoption eines anderen männlichen Mitglieds der königlichen Familie; Frauen, deren es auch noch einige innerhalb der engeren Königsfamilie gibt, scheiden in der patriarchalischen Gesellschaft Nepals ja aus. Doch das ist zur Zeit alles reine Spekulation. Die veränderte politische Landschaft Nicht nur die Monarchie sieht sich einer neuen Situation mit einer ungewissen Zukunft ausgesetzt, sondern die gesamte politische Landschaft Nepals hat sich in der Folge des Palastmassakers verändert. Hier ist zunächst die Regierung zu nennen. Nach langem und zähem Ringen ist der 78jährige Premierminister Girija Prasad Koirala zurückgetreten und hat einer jüngeren Generation seines Nepali Congress den Vortritt gelassen. Erstmals seit 1991, als Übergangspremierminister K.P. Bhattarai nicht gewählt wurde und Koirala Platz machen mußte, scheinen die Grabenkämpfe der beiden alten Parteiführer in den Hintergrund zu rücken. Der neue Premierminister, Sher Bahadur Deuba, nimmt mit fast stürmischem Elan viele Probleme in Angriff, deren Lösung in der Vergangenheit ob der dauernden innerparteilichen Konflikte kaum über halbherzige Ansätze hinauskamen. Themen wie ein Dialog mit den maoistischen Aufständischen, Landbesitz, Frauenrechte und kastenbedingte soziale Spannungen haben auf einmal höchste Priorität; sie werden nicht mehr lediglich verbal genannt, sondern die neue Regierung überrascht fast täglich mit neuen Aktivitäten. Nicht anders ergeht es der Opposition. Nicht nur die beiden großen linken Parteien, CPN-UML und CPN-ML, die bei den Wahlen von 1999 einen Sieg wegen ihrer Spaltung aufgrund rein persönlicher Machtbestrebungen verscherzten, streben in diesen Tagen nach einer Wiedervereinigung; auch andere der zahlreichen kommunistischen Splittergruppen haben erstmals Interesse an einer Beteiligung bei diesem Zusammenschluß bekundet. Seit 1960 haben die Perspektiven für eine Einheit des kommunistischen Lagers nie so gut gestanden. Hintergrund ist sicherlich auch die wachsende Erkenntnis, daß die eigentliche Opposition zum regierenden Nepali Congress längst weiter links zu suchen ist, nämlich bei der CPN (Maoist). Letztere hat ihren am 13. Februar 1996 begonnen sogenannten "Volkskrieg" gegen den nepalischen Staat in den letzten Monaten intensiviert. Die Abschaffung des Königtums und die Einführung einer Republik im Zusammenhang mit einer vom Volk beschlossenen Verfassung, aber auch dringend erforderliche soziale, politische und wirtschaftliche Reformen zählen zu den Forderungen der Maoisten. Das Massaker im Palast hat auch Auswirkungen auf die Argumentation und Haltung der maoistischen Führer gehabt. Rascher als alle anderen politischen Kräfte des Landes haben sie ihre Taktik der veränderten Situation angepaßt. In der fast vollständigen Ausrottung der Königsfamilie sahen sie eine Chance zu einer rascheren Erreichung ihres Zieles. Auf einmal erkannten die maoistischen Führer positive Seiten bei dem ermordeten König Birendra, während der neue König Gyanendra gemeinsam mit Indien als potentieller Täter herausgestellt wurde. In dieser Situation fiel es den Maoisten leicht, das ernst gemeinte Dialogangebot Premierminister Deubas zu akzeptieren. Die Regierung ist unter Erfolgszwang; sie muß Ruhe und Ordnung wiederherstellen, und das ist nicht allein durch verstärkten Polizei- und Armeeeinsatz möglich. Dies stärkt die Position der Maoisten bei den bevorstehenden Verhandlungen. Die Frage der Staatsform, und damit das Schicksal der Monarchie, wird im Vordergrund stehen, wenn Nepal zu einem raschen und dauerhaften inneren Frieden zurückfinden will. Literaturhinweise Adhikari, Bipin and S.B. Mathe. Impact of information technology on developing countries: The contextual perspective of the assassination of King Birendra of Nepal. Paper presented during "Democracy Forum 2001: Democracy and the Information Revolution", organized by International IDEA in Stockholm, Sweden, from 27th to 29th of June 2001. Bericht der offiziellen Untersuchungskommission (in Nepali, etwa 1.3 MB): http://www.nepalnews.com.np/npnews/press/head.htm (siehe auch englischsprachige Synopse: http:///nepalresearch.com/politics/background/committee_report.htm) Lotter, Stefanie. 2001. Romeo und Julia im Himalaya: Die Medienreaktion nach dem Massaker am Königshof in Nepal. Südasien, 21,3 (im Druck). Nepali Bishlesak (pseud.). 2001 Verschärfte Krise: Die politische Lage nach dem Massaker. Südasien, 21,3 (im Druck). Nepal Research. Linksammlung zu Artikeln und Analysen des Palastmassakers: http://nepalresearch.com/politics/background/royal_tragedy.htm Pfaff-Czarnecka, Joanna. 2001. Vom Untertan zum Bürger? Ein Versuch über die Grenzen und Potentiale in den nepalischen Demokratisierungsprozessen. Südasien 21,3 (im Druck) Schmidt-Vogt, Dietrich. 2001. Nepal im Kaliyug. Südasien, 21,3 (im Druck). |
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