Karl-Heinz Kraemer
Department of Political Science of South Asia, South Asia Institute, University of Heidelberg

NEPAL: Soziales und Kultur

erstellt für Munzinger-Archiv (August 2003)

Bevölkerung

Gemäß dem Zensus von Juni 2001 hatte Nepal knapp 23,2 Mio. Einwohner, davon 11,56 Mio. männlich und 11,58 Mio. weiblich, und bei einer Fläche von 147.181 km² eine Bevölkerungsdichte von 157 Einw. pro km².

Die Bevölkerungsverteilung ist sehr ungleich. Nach ökologischen Zonen unterschieden, leben im Hochgebirge (Himal/mountain) 7,3 %, im Bergland (Pahad/hill) 44,3 % und im Tiefland (Tarai) im Süden 48,4 % der Bevölkerung. Aufgrund andauernder Migration erhöht sich der Anteil des Tarai kontinuierlich. Von den fünf Entwicklungsregionen weist die Zentrale Region mit einer Bevölkerung von 8,03 Mio. Einwohnern gut einem Drittel der Gesamtbevölkerung und rund 293 Einw. pro km² die größte Bevölkerungsdichte auf; die niedrigste Bevölkerungszahl hat mit rund 2,19 Mio. die Region Ferner Westen, und die geringste Bevölkerungsdichte hat mit rund 71 Einw. pro km² die Region Mittlerer Westen.

Die dem Tarai und inneren Tarai zugehörigen ethnischen und Kastengruppen machen annähernd ein Drittel (30,6 %) der Gesamtbevölkerung aus, die der Bergregion und dem Hochgebirge zuzurechnenden derartigen Gruppen gut zwei Drittel. 86 % der Bevölkerung lebten 2001 auf dem Lande. (Binnen- und Auslands-)Migration hat in beträchtlichem Maße stattgefunden. Seit Mitte der 70er Jahre haben mangelnde Arbeitsmöglichkeiten zu verstärkter Abwanderung in die Städte geführt; deren Einwohner leiden unter der zunehmenden Umweltverschmutzung und vor allem der qualitativ wie quantitativ unzulänglichen Trinkwasserversorgung, insbesondere im Kathmandutal.

Die ethnische und kastenmäßige Vielfalt ist groß. Der Zensus von 2001 nennt namentlich 103 ethnische und Kastengruppen, ohne jedoch eine Trennung vorzunehmen. Bis 1990 hat der von hohen Hindukasten dominierte Staat gezielt Daten zu ethnischen Gruppen, die man als Kasten in mittleren und unteren Bereichen der Sozialhierarchie einordnete, gefälscht. Nach dem Zensus von 1991 machen die ethnischen Gruppen 41,5 % und die Kastengruppen 55,3 % der Gesamtbevölkerung aus (diesbezügliche Auswertungen aus dem Zensus 2001 liegen noch nicht vor).

Die zentrale Führungsschicht des Landes setzt sich überwiegend aus männlichen Bahun (Brahmanen) und Chhetri (Kshatriya, Kriegerkasten) zusammen, deren Sprache das Nepali ist. Ethnische Gruppen finden kaum Beteiligung, Dalits (unberührbare Hindukasten) gar nicht. Gleiches gilt für die Madhesi (indischstämmige Kastengruppen des Tarai) und Frauen im allgemeinen.

Sprachen: Der Zensus von 2001 nennt 92 Muttersprachen (und "unbekannte Sprachen"), die Aktivisten der sprachlichen Minderheiten sprechen von 122. Diese Sprachen sind in zwei Hauptfamilien gegliedert: indo-europäische und tibeto-birmanische; daneben sprechen einige kleine ethnische Gruppen des Tarai Munda-Sprachen. Zur erstgenannten Hauptfamilie gehört die von 48 % der Gesamtbevölkerung gesprochene Staats- und Amtssprache Nepali in Devanagari-Schrift; bedeutende indo-europäische Sprachen des Tarai sind Maithili (12,3 %) und Bhojpuri (7,5 %). Die 12 meistgesprochenen Sprachen sind Muttersprachen von 94 % der Bevölkerung.

Bevölkerungsbewegungen: Landesinterne Bevölkerungsbewegungen bestehen einerseits durch fortgesetzte Landflucht, insbesondere ins Kathmandutal. Auch der seit 1996 andauernde maoistische Aufstand hat viele Menschen zum Verlassen ihrer Heimatdörfer getrieben, vor allem im westlichen Bergland. Die Zahl der seit Dez. 1991 aus Bhutan eingeströmten, ethnisch nepalischen Flüchtlinge ist auf über 100.000 angestiegen. Sie sind in acht Lagern im östl. Nepal untergebracht. Die Gespräche zwischen Vertretern der Regierungen von Nepal und Bhutan brachten keine Lösung. Eine gemeinsame Kommission identifizierte Mitte 2003 lediglich gut 2.000 der Flüchtlinge, doch sprach sich das bhutanische Parlament kurz darauf grundsätzlich gegen eine Rückführung der Flüchtlinge aus. Etwa 20.000 Flüchtlinge sind seit 1959 aus Tibet gekommen, von denen es einige zu wirtschaftlichem Wohlstand gebracht haben. Sie erhalten keine Ausweispapiere vom nepalischen Staat, was viele von ihnen dazu veranlaßt hat, eine nepalische Ethnizität (z. B. die der Sherpa) zu behaupten. Der UNHCR kümmert sich um die heute noch ankommenden Flüchtlinge. Dennoch läßt sich der nepalische Staat gelegentlich zu Auslieferungen tibetischer Flüchtlinge an China verleiten, zuletzt am 31.05.2003.

Bevölkerungsstatistik: Die Bevölkerungszahl wuchs im Zeitraum 1975 bis 2001 um 2,3 % jährlich, Schätzungen für 2000-2015 gehen von 2,0 % aus. Die durchschnittliche Lebenserwartung wurde 2001 mit 59,4 Jahren für Männer und 58,9 Jahren für Frauen angegeben. Der Anteil der Bevölkerung unter 15 Jahren an der Gesamtbevölkerung lag 2001 bei 40,5 %; 3,7 % der Bevölkerung sind älter als 65 Jahre. 

Gesundheitswesen: Der im allgemeinen unbefriedigende Gesundheitszustand und die geringe Lebenserwartung haben vorrangig ihre Ursachen in Überbevölkerung, Umweltbelastung, verseuchtem Wasser, Unter- und Mangelernährung und ansteckenden Krankheiten. Bis zum Jahre 2000 hatten nur 28 % der Bevölkerung Zugang zu einem verbesserten Sanitärwesen. Über sauberes Trinkwasser verfügen inzwischen 88 % der Bevölkerung. Der Zugang zu Gesundheitseinrichtungen ist regional sehr unterschiedlich; während er in der Hauptstadt ein relativ gutes Niveau aufweist, schwankt er auf dem Land zwischen 0 und 49 %. Um ein Mindestmaß an grundlegenden Gesundheitsdiensten mittels integrierter Gesundheitsprogramme zugänglich zu machen, wurde seit Anfang der 90er Jahre mit der Einrichtung von Gesundheitsstationen (sub-health posts) in ländlichen Gebieten begonnen. Die Säuglingssterblichkeit hat sich in den letzten 30 Jahren von 17 % auf 7 % verbessert; starben 1970 noch 25 % vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres, so waren es 2001 noch 9 %. Zu den verbreitetsten Krankheiten zählen Erkrankungen des Magen- und Darmkanals, parasitäre bzw. Wurmkrankheiten, Tuberkulose, Schilddrüsenerkrankungen, Augenkrankheiten, ferner Lepra; in der Bekämpfung von Malaria wurden Erfolge erreicht; die Pocken wurden vollständig ausgerottet. AIDS wird immer mehr zu einem Problem; klare statistische Daten liegen nicht vor, doch wurde Mitte 2003 gemeldet, daß etwa 0,5 % der Bevölkerung HIV-positiv sind.

Medizinische Einrichtungen: Es gab 2001/02 89 staatliche Krankenhäuser mit 5310 Krankenhausbetten; dazu (2000/01) 10 Gesundheitszentren, 700 Gesundheitsposten, 285 (2001/02) ayurvedische Dienstzentren (Arzneiausgaben); 3.161 Gesundheitsstationen und 205 primäre Gesundheitszentren. In den staatlichen Krankenhäusern arbeiteten 2001/02 5.415 Ärzte, 3.921 Krankenschwestern sowie 313 Kaviraj Vaidyas (ayurvedische Ärzte). Auf 100.000 Einwohner kommen 4 Ärzte, doch findet man diese überwiegend in den städtischen Ballungszentren.

Recht und Justiz

Die Gerichtsbarkeit ist nach der Verfassung vom 9.11.1990 unabhängig und gemäß internationalen Maßstäben des Rechtsdenkens ausgerichtet. Das Gerichtswesen ist dreistufig: An der Spitze steht der Oberste Gerichtshof, der gleichwohl ein Gericht vollen Rechts ist, darunter rangieren die Appellations- und die Distriktsgerichte; aus der Hierarchie ist lediglich der Militärgerichtshof ausgeschlossen.

Der Oberste Gerichtshof besteht aus einem Hauptrichter und 14 weiteren Richtern. Der Hauptrichter wird vom König auf Vorschlag des Constitutional Council ernannt (auf sieben Jahre), alle anderen Richter der Hierarchie werden auf Vorschlag des Judicial Council ernannt. Bezeichnend ist auch in diesem Bereich die erdrückende Dominanz von Brahmanen. Jeder Bürger hat das Recht, den Obersten Gerichtshof zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze anzurufen. Die Gerichte sind jedoch seit langem der Flut der an sie herangetragenen Fälle nicht gewachsen. Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs werden oft von Exekutive und Legislative mißachtet.

Religion und Volksbildung

Religion: Hinduismus und Buddhismus in Kombination mit animistischen und schamanistischen Vorstellungen und Praktiken sowie in geringerem Maße der Islam (insbesondere in Gegenden des Tarai) bestimmen weitestgehend die Lebens- und Denkweise des Volkes. Der Hinduismus ist die Religion der Königsfamilie, und der König wird als eine Inkarnation der Hindu-Gottheit Vishnu angesehen. Auf die verschiedenen Religionen verteilt sich (Volkszählung 2001) folgende Anhängerschaft: Hinduismus 80,6 %; Buddhismus 10,7 %; Islam 4,2 %; Kirati (Mischung aus animistischen und schamanistischen Vorstellungen und Praktiken) 3,6 %; Christentum 0,4 %. Die statistische Zahl der Hindus ist seit dem ersten freien Zensus von 1991 (knapp 90 %) rückläufig, was mit dem wachsenden Bewußtsein und Engagement der zahlreichen nicht-hinduistischen Bevölkerungsgruppen sowie mit der Liberalisierung des Rechtswesens zusammenhängt. Nach der Verfassung von 1990 (Artikel 19) unterliegt die Religionsausübung dem Hindu-Staat-Prinzip und entspricht ganz dem hinduistischen Verständnis von Religion (in Nepalesisch: dharma). Jeder hat das Recht zum Bekenntnis und zur Ausübung der ererbten Religion in ihrer traditionellen Weise; Missionierung und freier Übertritt zu einer anderen Religionsgemeinschaft sind verboten. Die nicht immer saubere Praxis im Land tätiger christlicher Hilfsorganisationen wird zurecht, aber oft auch mit übertriebenen Argumenten kritisiert.

Volksbildung: Das gegenwärtige dreistufige Ausbildungssystem wurde 1971 etabliert. Es besteht aus einer fünfjährigen Grundschulausbildung (Primarstufe) mit Schulpflicht für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren. Die auf diese folgende, ebenfalls fünfjährige Sekundarstufe ab elf Jahren hat eine erste Phase von drei und eine zweite von zwei Jahren (untere bzw. obere Sekundarstufe). Inzwischen hat man mit der Einführung von weiteren zwei Schuljahren (10 + 2) begonnen, doch wird dies erst von wenigen Schulen angeboten. Für den Besuch der ersten bis sechsten Klasse besteht an den staatlichen Schulen Gebührenfreiheit. Das Abschlußexamen am Ende der 10. Klasse (School Leaving Certificate, SLC) bestehen jährlich nur gut 30 % der Kandidaten. Ein Besuch der zahlreichen und zum Teil recht teuren Privatschulen verbessert einen Erfolg deutlich. Hauptgründe für die hohen Wiederholer- und Abgängerraten sind: Hausarbeitspflichten der Kinder, unregelmäßiges Unterrichtsangebot, Unfähigkeit der Familien zum Tragen der Schulkosten, geringes Interesse der Eltern am Schulbesuch der Kinder, Kasten- und Ethniendiskriminierung und das Fehlen eines Unterrichts in der Muttersprache (Unterrichtssprache ist grundsätzlich Nepali, an einigen weiterführenden Privatschulen auch Englisch). Rund 30 % der Kinder gehen gar nicht zur Schule, wovon zwei Drittel Mädchen sind. Diese geschlechterspezifische Kluft vergrößert sich mit der Höhe des Bildungsniveaus. Nach dem Human Development Report 2003 betrug der Prozentsatz der Erwachsenen-Analphabeten 2001 57,1 % (männl. 39,5 %; weibl. 74,8 %). 

Schulen: Im Primarschulbereich wurden im Jahre 2000 3,6 Mio. Schüler (davon 1,6 Mio. weiblich) an 25.927 Schulen von 97.879 Lehrkräften (davon 50.697 voll ausgebildet) unterrichtet; Lehrer-Schüler-Relation: 1:37. Die Einschulungsrate von Kindern der betreffenden Altersgruppe wird bezüglich 2000/01 mit insgesamt 72 % beziffert Im unteren Sekundarbereich wurden 2000 957.446 Schüler (davon 397.503 weiblich) an 7.289 Schulen von 25.375 Lehrkräften (davon 10.268 voll ausgebildet) unterrichtet; Lehrer-Schüler-Relation: 1:38. Im oberen Sekundarstufenbereich wurden 2000 372.914 Schüler (davon 151.444 weiblich) an 4.350 Schulen von 19.498 Lehrkräften (davon 11.012 voll ausgebildet) unterrichtet; Lehrer-Schüler-Relation: 1:19.

Hochschulen: Es gibt zwei staatliche Universitäten (die 1959 gegründete Tribhuvan University in Kathmandu mit landesweiten Abteilungen und die 1986 gegründete Mahendra Sanskrit University, ebenfalls in Kathmandu) sowie drei private Universitäten (die Kathmandu University in Dhulikhel, die Pokhara University in Pokhara und die Purbanchal University in Biratnagar). 2000 lag die Zahl der Universitätsstudenten bei über 120.000.


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