Karl-Heinz Kraemer
Department of Political Science of South Asia, South Asia Institute, University of Heidelberg

Nepals ethnische Gruppen organisieren sich: Sozio-kulturelle Beschränkung oder politisches Engagement?

In: Asien 54:48-56 (1995).

 Wie in vielen Gegenden der Erde so vollzieht sich auch in Nepal in jüngerer Zeit eine Art ethnisches Erwachen. Es geht eine Bewegung durch Nepal, die sich durch ein stetig wachsendes Selbstbewußtsein der diversen ethnischen Gruppen auszeichnet. An den Schalthebeln dieser Bewegung sitzt eine noch kleine Schar junger Angehöriger ethnischer Gruppen, denen es trotz der widrigen Staatspolitik gelungen ist, eine intellektuelle Bildung zu erlangen. Diese Bildung war die Voraussetzung für die kritische Haltung, mit der sie heute der Politik des Staates begegnen, eines Staates, mit dem sie sich nicht mehr identifizieren können, seit sie sich seiner jahrhundertelangen Diskriminierung der ethnischen Bevölkerungsgruppen bewußt geworden sind.

Eine Folge dieser Bewußtseinsbildung war die Gründung ethnischer Organisationen. Die ersten derartigen Vereinigungen wurden bereits in den fünfziger Jahren gegründet, doch handelte es sich dabei noch um Einzelfälle. Einen Motivationsschub brachten die politischen Unruhen des Jahres 1979, die zur Schicksalsentscheidung über das Panchayat-System führten. Die Ankündigung des nationalen Referendums über das künftige Regierungssystem vom 24. Mai 1979 veränderte schlagartig auch die Situation der ethnischen Gruppen, die nun die sich anschließende Zeit der freien Meinungsäußerung und der erlaubten Organisationsbildung zu einer Art Wiederauferstehung nutzten. Sie zeigten offen ihre Unzufriedenheit mit der gegen sie angewandten Diskriminierungspolitik des nepalischen Staates. Mit dem Ziel einer größeren Unterstützung hielten sie eine Konferenz der mongoliden Völkerschaften ab. Auf dieser Konferenz stellten sie noch sehr vordergründig orientierte Forderungen auf wie die Ersetzung des staatlichen nepalischen Kalenders, der sich auf den altindischen König Vikramaditya bezieht, durch den Nepal Samvat, jene altnewarische Zeitrechnung, die im Jahre 879 beginnt. Daneben wurde insbesondere eine Förderung der ethnischen Sprachen verlangt. Es wurde besonders hervorgehoben, daß Prithvinarayan Shah einst den modernen nepalischen Staat nur dank der Hilfe und Tapferkeit der ethnischen Bevölkerungsgruppen habe begründen können.

Erstmals in der nepalischen Geschichte erklärten Völkerschaften wie Tamang, Gurung, Magar, Rai, Limbu usw. in aller Öffentlichkeit, daß ihnen ihre legitimen Rechte verwehrt würden und daß die mongoliden Völkerschaften von den hohen Hindukasten, insbesondere den Bahun und Chetri, unterdrückt würden. Die neue Welle regionaler und ethnischer Aktivitäten, die sich in der Referendumsphase bemerkbar machte, verdeutlichte, daß die integrierende Funktion des Panchayat-Systems wesentlich geringer gewesen war, als dies von offiziellen Kreisen immer so gerne behauptet wurde.

Zwar überstand das damalige politische System noch einmal das Referendum vom 2. Mai 1980, doch erkannten die Menschen, daß man mit der Mobilisierung der Massen politische und soziale Veränderungen herbeiführen konnte. Es war daher eine logische Konsequenz, daß in den achtziger Jahren nicht nur die verbotenen politischen Parteien immer aktiver wurden und das Panchayat-System allmählich unterwanderten, sondern daß auch eine ganze Reihe weiterer ethnischer Organisationen gegründet wurden. Das besondere Problem dieser Organisationen war, daß sie aufgrund der großen ethnischen Vielfalt des Landes jeweils immer nur einen sehr kleinen Kreis der nepalischen Gesamtbevölkerung vertraten, obgleich ihre Gründungsvoraussetzungen und Anliegen sehr viele Gemeinsamkeiten aufwiesen. Daher suchte man den gegenseitigen Gedankenaustausch und gründete 1986 zu diesem Zweck den Sarvajati Adhikar Manch (Forum for the Rights of All Nationalities).

Ein weiterer wichtiger Schritt war die aktive Beteiligung der ethnischen Organisationen an der Volksbewegung von 1990, die in ihren Augen nicht nur einen machtpolitischen Wechsel an der Spitze des Staates, sondern tiefgreifende sozialpolitische und wirtschaftspartizipatorische Veränderungen herbeiführen sollte. Daher beteiligte sich auch das lose Bündnis ethnischer Organisationen, nun unter dem Namen Vividh Dharma, Bhasha, Jati tatha Janajati Sandharsha Samiti (Various Religions, Languages, and Nationalities Action Committee). Ein Anhaltspunkt für die große Beteiligung ethnischer Bevölkerungsgruppen an der Demokratiebewegung von 1990 ist auch die hohe Zahl von Opfern aus diesem Bevölkerungskreis.

Als nach dem Erfolg der Volksbewegung eine neue Verfassung ausgearbeitet wurde, erkannten die jungen ethnischen Eliten die einmalige Chance gesellschaftspolitischer Veränderungen, die als Grundlage der neuen Verfassung festgeschrieben werden sollten. So waren es nicht nur die Vertreter der führenden Parteien und der linksextremen Gruppen, die sich damals eindeutig gegen den Hindustaat ausgesprochen hatten, in dem sie das Haupthindernis für derartige Veränderungen sahen, sondern es waren vor allem auch jene Gruppen, die sich im Hindustaat Nepal immer wieder benachteiligt gefühlt hatten, die jetzt in aller Öffentlichkeit lautstark – wie sich später zeigen sollte, vergeblich – die Einführung eines säkularen Staates forderten, so z. B. die zahlreichen ethnischen Gruppen, die Frauen, die von den hohen Hindukasten zu "Unberührbaren" erklärten Menschen. Um ihrer Stimme dabei ein stärkeres Gewicht zu verleihen, entschlossen sich die ethnischen Organisationen zu einer größeren Kooperation und gründeten im Juli 1990 eine Art Dachverband, den Nepal Janajati Mahasangh (Nepal Federation of Nationalities, abgekürzt NEFEN), dem heute bereits 22 ethnische Organisationen angeschlossen sind. Dieser Nepal Janajati Mahasangh war bisher lediglich ein lockerer Zusammenschluß unterschiedlicher ethnischer Organisationen, doch wird die Zusammenarbeit und der Gedankenaustausch intensiver. Padma Ratna Tuladhar vom Nepal Bhasa Mangka Khala, einer um die Pflege und den Erhalt der Newar-Sprache bemühten Mitgliedsorganisation des Nepal Janajati Mahasangh, begründet dies so: "Wir haben dieses Bündnis gegründet, weil wir die Notwendigkeit erkannten, daß alle ethnischen Organisationen gemeinsam vorgehen und ihre Forderungen vortragen müssen. Da der Bildungsmangel und die Rückständigkeit innerhalb der ethnischen Gruppen so stark verbreitet sind, gibt es in ihren Reihen nur relativ wenige Personen, die das notwendige politische Bewußtsein entwickelt haben. Sie waren es, die die unterschiedlichen ethnischen Organisationen begründet haben. Aber die große Masse besitzt dieses politische Bewußtsein nicht. Folglich sind die einzelnen ethnischen Organisationen für sich allein nicht stark genug. Aber auch der Nepal Janajati Mahasangh ist heute noch nicht ausreichend stark... Der Name 'Nepal Janajati Mahasangh' klingt zwar sehr groß und die Regierung und unsere Gegner sprechen von einer kommunalen Bewegung, der Einhalt geboten werden müsse, doch in Wirklichkeit ist unsere Bewegung bei weitem noch nicht so stark wie es vielleicht den Anschein hat. Natürlich sind die ethnischen Führer gebildet und sehr bewußt bezüglich ihrer Rechte, doch sind sie nicht sehr zahlreich."

Der von anderen Organisationen etwas umstrittene Begriff janajati wird von den Mitgliedsorganisationen des Mahasangh mit Nationalitäten übersetzt. Man setzt sich ein für eine Rückbesinnung auf die eigenen angestammten Kulturen und Werte und für eine Zurückweisung des jahrhundertelangen Einflusses der Hinduisierung. Der Mahasangh propagiert dabei als gemeinsames Band aller ethnischen Gruppen Nepals die tibeto-mongolische Rassenzugehörigkeit und die animistische oder buddhistische Religion als Grundlage der jeweiligen Kulturen. Hiermit wird begründet, daß er zwar allen ethnischen Gruppen und Organisationen offensteht, nicht jedoch hinduistischen Kastengruppen einschließlich der sogenannten Unberührbaren, obgleich diese ja in ähnlicher Weise diskriminiert werden wie die ethnischen Gruppen. Ausgeschlossen bleiben folglich auch christliche oder muslimische Organisationen.

Einen neuen Auftrieb für die Bewegung der janajati brachte das Jahr 1993, das von den Vereinten Nationen zum "Jahr der indigenen Völkerschaften" erklärt worden war und die "Dekade der indigenen Völkerschaften" einleitete. Aus diesem Anlaß gründeten Vertreter der ethnischen Organisationen im vergangenen Jahr das National Committee for the International Year (1993) for the World's Indigenous Peoples, Nepal, als dessen Vorsitzender ein renomierter Jurist, der frühere Generalstaatsanwalt Ramananda Prasad Singh, selbst ein Angehöriger der Tharu, einer großen ethnischen Gruppe, deren Hautsiedlungsgebiet das flache Tarai entlang der indischen Grenze ist, fungierte. Dieses Komitee beteiligte sich engagiert an der letztjährigen Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen in Wien – zur dort ebenfalls auftretenden offiziellen nepalischen Delegation unter Leitung von Premierminister Girija Prasad Koirala gehörten keine Verteter der ethnischen Gruppen oder Organisationen – und knüpfte dabei Kontakte zu ähnlichen Interessengruppen anderer südasiatischer Länder, wie z.B. dem Chittagong Hill Peoples' Council aus Bangladesh, und zu überregionalen Organisationen wie dem Asia Indigenous Peoples Pact (AIPP).

Nach Ablauf des "Internationalen Jahres der indigenen Völkerschaften" wurde das Komitee umbenannt in National Ad Hoc Committee for the International Decade for the World's Indigenous Peoples, Nepal (NCIP/Nepal). Vom 23.-26. März 1994 organisierte dieses Komitee in Lapsiphedi, bei Kathmandu, in Zusammenarbeit mit dem AIPP eine nationale Konferenz der indigenen Völkerschaften Nepals. Die sehr umfangreichen und detaillierten Beschlüsse und Empfehlungen dieser Konferenz wurden vom Nepal Janajati Mahasangh auf dessen zweiter nationaler Konferenz (28.-30.05.1994) aufgegriffen und zum Programm dieses Dachverbandes ethnischer Organisationen erhoben. Gleichzeitig wählte diese Organisation einen neuen Vorstand: Parshuram Tamang, bereits Sekretär des NCIP/Nepal, löste Suresh Ale Magar als Generalsekretär des Nepal Janajati Mahasangh ab. Dies garantiert die enge Abstimmung und quasi übereinstimmende Politik beider Organisationen. Es ist jedoch hervorzuheben, daß im NCIP/Nepal zwar die Mitgliedsorganisationen des Nepal Janajati Mahasangh dominieren, doch sind dort auch einige andere größere Organisationen beteiligt wie Janajati Utthan Manch (Janajati Uplift Forum), Bouddhist Youth Group und die beiden weiterhin existierenden Vorläuferorganisationen von NEFEN, nämlich Sarvajati Adhikar Manch (Forum for the Rights of All Nationalities) und Vividh Dharma, Bhasha, Jati tatha Janajati Sandharsha Samiti (Various Religions, Languages, and Nationalities Action Committee).

Zu klären ist zunächst der Begiff der "indigenen Völkerschaften". Hier wird vielfach in Nepal – so auch von der Regierung – die Meinung vertreten, indigene Völkerschaften seien nur jene wenigen, vom Aussterben bedrohten kleinen Restvölkerschaften Nepals, wie Chepang, Dhimal, Hayu, Kusunda, Pahari, Raute, Thami usw., nicht aber die zahlreichen größeren ethnischen Gruppen des Landes. Dieser Auffassung schließen sich übrigens auch politische Organisationen an, die die ethnischen Gruppen vertreten wollen, wie z.B. die Mongol National Organization von Gopal Gurung, oder aber auch Menschenrechtsorganisationen wie das Informal Sector Service Centre, das jedoch die sehr große Gruppe der Tharu einbezieht.

Dem widersprechen NCIP/Nepal und NEFEN und haben daher auf ihren diesjährigen Konferenzen klar definiert, wie sie die indigenen Völkerschaften in Nepal verstanden wissen wollen. In diesem Zusammenhang ist zunächst von einer eigenständigen sprachlichen und kulturellen Tradition die Rede. Die Religion der indigenen Völkerschaften basiere auf animistischen Vorstellungen; der vom Staat aufgezwungene Hinduismus sei nicht die ursprüngliche Religion der indigenen Völkerschaften.

Aber neben den sprachlichen, kulturellen und religiösen Voraussetzungen ist auch von solchen territorialer Art die Rede. Demnach zählen zu den indigenen Völkerschaften Nepals all jene Bevölkerungsgruppen, deren Vorfahren einst als erste Siedler ein Territorium des heutigen Nepal in Besitz genommen haben oder die dort gewohnt haben, als ethnisch andersartige Bevölkerung zuwanderte. Als besonders wichtig wird in diesem Zusammenhang angesehen, daß diese Völkerschaften eine eigene kontinuierliche Geschichte, in mündlicher oder in schriftlicher Form, besitzen.

Ein Teil dieser ethnischen Geschichte muß ferner die Landenteignung und Verweigerung traditioneller Rechte im Rahmen des Aufbaus des modernen Hindu-Staates gewesen sein. Die indigenen Völkerschaften sind folglich nur solche Völker, die vom Entscheidungsprozeß ausgeschlossen wurden und deren traditionelle Kultur, Sprache, Religion und Gesellschaftssystem vernachlässigt und erniedrigt wurden. Es heißt, das Gesellschaftssystem der indigenen Völkerschaften basiere auf dem Prinzip der Gleichheit. Ihm sei die hierarchische Denkweise des hinduistischen Kastensystems ebenso fremd wie die soziale, wirtschaftliche und religiöse Unterordnung der Frauen.

Und schließlich müssen die Völkerschaften, die die zuvor genannten Charakteristika erfüllen, auch formell erklären, daß sie zu den indigenen nepalischen Völkerschaften gehören. Diese Definition macht deutlich, daß die indigenen Völkerschaften nach der Auffassung von NCIP/Nepal und NEFEN ausschließlich die zahlreichen ethnischen Gruppen des Landes sind, unabhängig von ihrer heutigen Größe. Zwar sind die Begriffe "indigene Völkerschaften" (adivasi) und "Nationalitäten" (janajati) nicht synonym, doch macht die obige Definition deutlich, daß alle Nationalitäten zu den indigenen Völkerschaften des Landes zu rechnen sind.

Auf der Grundlage dieser Selbstdefinition haben NCIP/Nepal und NEFEN ein elf Punkte umfassendes Programm für ihre weitere Arbeit aufgestellt, woraus ich die wichtigsten Aussagen in Stichworten zusammentragen möchte:

1. ausschließlich soziale und parteiungebundene Ausrichtung; vorrangige Bemühung um sozio-kulturelle, wirtschaftliche und religiöse Emanzipation der indigenen Völkerschaften

2. Einrichtung eines Forum for Political Analysis zur neutralen Beobachtung und Analyse der Erklärungen und politischen Aktivitäten der zahlreichen politischen Parteien; solche, die den Interessen der indigenen Völkerschaften widersprechen, werden publik gemacht

3. weitere Verbesserung der Zusammenarbeit aller Nationalitäten-Organisationen und der Verbindungen zu regionalen und internationalen Schwesterorganisationen

4. Neuschreibung der nepalischen Geschichte aus der Sicht der indigenen Völkerschaften; Analyse aller historischen Vereinbarungen und Verträge zwischen den indigenen Völkerschaften und der kolonisierenden Staatsmacht; Richtigstellung der Zensuszahlen; Erforschung der Kultur, Geschichte, Sprache und Religion der indigenen Völkerschaften und Verbreitung diesbezüglicher korrekter Informationen über die Massenmedien

5. Mobilisierung der indigenen Völkerschaften zur Wahrung folgender Rechte: Primarschulunterricht und staatliche Informationsverbreitung in der Muttersprache, Überarbeitung der Schul- und Universitätscurricula (Abschaffung des Schulpflichtfachs Sanskrit), Zulassungsprüfungen zum Staatsdienst und Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache, Schaffung eines säkularen Staates (Verfassungsänderung), rechtliche und finanzielle Entschädigung für die wirtschaftlichen Benachteiligungen infolge der einseitigen Vertragspolitik der kolinisierenden Staatsmacht, Internationalisierung aller dieser Anliegen

6. Forderung der staatlichen Anerkennung traditioneller kultureller Rechte der Frauen (Gleichbehandlung im Erb- und Scheidungsrecht)

7. Unterstützung der internationalen Bewegung zur Schaffung eines Permanent Forum for Indigenous Peoples auf UN-Ebene

8. Solidarität mit weltweit allen Bewegungen indigener Völkerschaften

9. möglichst rasche Überleitung des National Ad Hoc Committee for the International Decade for the World's Indigenous Peoples, Nepal in ein offizielles Komitee

10. Organisierung der Second South Asian Conference of Indigenous Peoples in Nepal

11. verantwortliche Übernahme folgender Aktivitäten: umfassende Studie des Status der indigenen Völkerschaften Nepals; Errichtung eines Ethnographic Museum of Indigenous Peoples of Nepal; Dokumentation aller Meldungen und Publikationen zu indigenen Völkerschaften; Forschung, Analyse und Veröffentlichung von nationalem und internationalem Recht zu den indigenen Völkerschaften; Herausgabe eines Newsletter; Einrichtung eines Beraterdienstes für Regierung und NGOs; Unterrichtung von Politikern und Parteien über die Anliegen und Forderungen der indigenen Völkerschaften, um Druck auf Regierung und Parlament auszuüben; Informationsveranstaltungen zu Menschrechten; Zentrale für den Informationsaustausch zwischen nationalen und internationalen Organisationen indigener Völkerschaften.

Natürlich wird die parteiliche Ungebundenheit und ausschließliche kulturelle Ausrichtung des Nepal Janajati Mahasangh bzw. des NCIP/Nepal besonders betont. Deutlich wird dies auch schon aus den Bezeichnungen, die sich die Mitgliedsorganisationen des Janajati Mahasangh gegeben haben. Diese politische Neutralität ist auch wichtig für eine effektive Arbeit der Organisation. Durch die Heraushaltung aus der aktiven Politik ist es möglich, daß sich heute in NEFEN oder ihren Mitgliedsorganisationen viele Politiker unterschiedlichster Parteien engagieren und auch zunehmend organisationsübergreifend kooperieren. Doch wenn man auch parteilich nicht gebunden ist, so ist NEFEN in seinen Aussagen natürlich äußerst politisch. Das ist aber auch kein Wunder, da der Staat selbst eine einseitige kulturelle Aussage in seine Selbstdefinition aufgenommen hat. Wer sich in Nepal sozio-kulturell engagiert, wird folglich immer politisch, insbesondere, wenn er eine Kultur, Sprache oder Religion vertritt, die der staatlichen nicht entspricht. So sind die Hüter der staatlichen Ordnung sofort mit dem Argument der kommunalistischen Ausrichtung ethnischer Organisationen, wie NEFEN, zur Stelle, doch muß man diesem Vorwurf die Frage entgegenhalten, was eigentlich "kommunalistisch" bedeutet in einem multiethnischen Staat, der sich mit der Erklärung zum Hindu-Staat selbst kommunalistisch gibt. Geschichte, Sprache, Kultur und Religion, die von der staatstragenden Schicht des Landes seit Jahrhunderten in ihrem Sinne nationalideologisch genutzt wurden, werden so auch zu den vorrangigen Stichworten der ethnischen Argumentation. Benutzt der durch die hohen Hindu-Kasten repräsentierte Staat diese Schlagworte, so bezeichnet er das als Nationalismus, werden dieselben Begriffe jedoch von den ethnischen Organisationen aufgegriffen, so sprechen Staat und Rechtsprechung von Kommunalismus. Gemeint ist immer dasselbe, nur eben von unterschiedlichen Standpunkten aus. Für die ethnischen Organisationen sind ihre jeweilige Geschichte, Sprache, Kultur und Religion die wesentlichen Bestandteile des Nationalismus ihrer janajati (Nationalität), wie dies Shah-Geschichte, Nepali-Sprache und hinduistische Gesellschaftsordnung und Religion für die herrschenden Hindu-Kasten sind.

Vor diesem Hintergrund ist der Forderungskatalog von Nepal Janajati Mahasangh bzw. NCIP/Nepal an die nepalische Regierung zu verstehen. Dabei bewegen sich die ethnischen Organisationen durchaus auf dem Boden der nepalischen Verfassung. Das, was sie realisiert haben wollen, steht nämlich in den sogenannten staatspolitischen Richtlinien der Verfassung (Artikel 26), nur sind diese leider nicht einklagbar. Im einzelnen lesen sich die direkten ethnischen Forderungen wie folgt:

1. Einrichtung eines Institute of Nationalities

2. Aufnahme der Geschichte, Kultur, Sprache und Religion der indigenen Völkerschaften in die Schulcurricula und Erforschung derselben an der Universität; Verwerfung der staatlich angeordneten Sanskrit-Ausbildung

3. Ausbildung und Information der indigenen Völkerschaften in ihrer Muttersprache

4. Schutz und Erhalt von Plätzen und Gegenständen, die für die indigenen Völkerschaften von kultureller, archäologischer, historischer oder religiöser Bedeutung sind

5. Entschädigung für die historischen Verletzungen der traditionellen Rechte der indigenen Völkerschaften auf natürliche Ressourcen und Handelsrouten

6. Bildung einer Commission for the Economic Development of the Indigenous Peoples zur Beseitigung der Diskriminierung und zur gleichwertigen Beteiligung an den Entwicklungsmaßnahmen des Landes

7. Aufnahme in die jeweiligen bilateralen Vereinbarungen, daß junge Leute aus indigenen Gruppen, die in anderen Ländern als Söldner dienen, nicht zur Unterdrückung von Befreiungsbewegungen indigener Völkerschaften in anderen Ländern eingesetzt werden dürfen

8. Unterbindung des Frauenhandels aus ethnischen Gruppen; Repatriierung und Rehabilitation betroffener Frauen

9. Unterbindung der Beschäftigung von Kindern aus ethnischen Gruppen in Fabriken; kostenlose Schulausbildung

10. Vermittlung korrekter Zensuszahlen zu Kultur, Geschichte, Sprache und Religion der indigenen Völkerschaften

11. Ratifizierung der ILO-Konvention 169 und der UN-Deklaration 47/135 zum Schutz ethnischer, religiöser und linguistischer Minderheiten

12. Anerkennung des politischen Selbstbestimmungsrechts der indigenen Völkerschaften Nepals

13. Umwandlung des Oberhauses des Parlaments in ein Haus der Nationalitäten

14. Reservierung von Parlamentssitzen für Frauen aus indigenen Bevölkerungsgruppen.

Der Forderungskatalog ist eindeutig. Es geht den ethnischen Organisationen nicht um Separatismus, wie dies von Regierung und herrschender Schicht des Landes oft behauptet wird, sondern um eine Integration als vollwertige und gleiche Mitgliedsnationalitäten des modernen nepalischen Staates. Das, was oben unter den einzelnen Forderungspunkten aufgezählt wurde, betrifft Rechte und Institutionen, die in gleicher Weise für die hochkastige Hindubevölkerung seit langem bestehen und gepflegt werden. Erste Reaktionen des Staates sind bereits erfolgt. So wurde im August 1994 nicht ohne Protest von konservativer hinduistischer Seite der Service von Radio Nepal erheblich erweitert, indem Nachrichtensendungen nicht mehr allein in den Sprachen Nepali, Hindi, Newari und Maithili ausgestrahlt werden, sondern nun auch in weiteren Sprachen der Nation – so bezeichnet die Verfassung zur Abhebung von der Nationalsprache Nepali alle übrigen Muttersprachen des Landes –, nämlich in Avadhi, Bhojpuri, Gurung-, Limbu-, Magar-, Tharu- und Tamang-Sprache sowie in einer der Rai-Sprachen. Einige Punkte der ethnischen Forderung sind sicherlich auch diskussionsfähig. So ist die Stellung der Frauen im ethnischen Bereich meist wesentlich besser als in der Hindugesellschaft, doch gibt es auch hier kritikfähige Punkte; fraglich ist natürlich, wie weit diese im Einzelfall auf die staatliche Hinduisierungspolitik der vergangenen Jahrhunderte zurückzuführen ist. Unklar ist auch, wie sich die ethnischen Organisationen die geforderte wirtschaftliche Rehabilitierung der ethnischen Gruppen vorstellen, doch soll mit diesen Einschränkungen nicht die grundsätzliche Berechtigung der ethnischen Forderungen in Frage gestellt werden. Der nepalische Staat wird keinen Schaden nehmen oder gar auseinanderbrechen, wenn er die berechtigten Forderungen der ethnischen Organisationen erfüllt. Eine solche Gefahr ist wesentlich größer oder sogar wahrscheinlich bei einer Verweigerung dieser Rechte. Der Weg, den die ethnischen Organisationen eingeschlagen haben, indem sie sich nicht als politische Partei(en) propagieren und stattdessen versuchen, auf alle bestehenden Parteien einzuwirken, ist sehr klug gewählt. Die vorrangigen Aufgaben der ethnischen Organisationen bestehen zunächst sicherlich in einer Standardisierung ihrer Sprachen, von denen viele zur Zeit noch keine Schrift besitzen, und in der Erforschung und Darlegung der jeweils eigenen Geschichte ihrer Bevölkerungsgruppen. Dadurch, daß diese aus dem mythologischen Dunstkreis herausgehoben und in den faßbaren historischen Rahmen der nepalischen Gesamtgeschichte integriert werden, in dem sie bisher nicht vorkommen, wird die Grundlage für die Integration der zahlreichen ethnischen Gruppen des Landes erst geschaffen.

 

Benutzte Literatur:

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sowie persönliche Gespräche mit Führern des Nepal Janajati Mahasangh und anderer ethnischer Organisationen

Nachtrag: Dieser Originaltext  wurde von der Gesellschaft für Asienkunde für die Veröffentlichung redaktionell überarbeitet.


Copyright © 1995, Karl-Heinz Krämer